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Bei der Bekämpfung des Coronavirus schlug Schweden in Europa einen Sonderweg ein. Statt mit Verboten und Vorschriften vorzugehen, baute die Regierung mit Empfehlungen auf die Eigenverantwortung der Bürger. Läden und Restaurants, Schulen und Kindergärten blieben offen. Mit Erfolg, wie es scheint. Chef-Epidemiologe Anders Tegnell sieht das Schlimmste überwunden.

Auf einen Blick
  1. Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen das Coronavirus wütete, gab es in Schweden nur sehr wenige Einschränkungen des täglichen Lebens.
  2. Ein Fehler war allerdings, dass Risikopersonen nicht von vorneherein ausreichend geschützt wurden. Deshalb kam es anfangs zu einer relativ hohen Zahl an Todesfällen.
  3. Alle Maßnahmen richten sich jetzt darauf, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten – allerdings ohne das Leben der Menschen in Schweden zu sehr einzuschränken.
  4. Willkommener Nebeneffekt der verlangsamten Ausbreitung des Virus ist, dass immer mehr Schweden sich anstecken und immun werden. So kann langfristig das Ziel der Herdenimmunität erreicht werden.

Eigenverantwortung statt Verbote

So ganz anders als bei uns: Schweden setzt auf Eigenverantwortung und Herdenimmunität
©Julio Etchart – stock.adobe.com

Es ist ein glückliches Bild: Lachende, fröhliche Menschen sitzen in Restaurants, Cafés, Biergärten oder Bars, Schülerinnen und Schüler schlendern durch die Gassen, vor den Kinokassen bilden sich Schlangen. Ist es ein Bild aus Vor-Corona-Tagen? Nein, es ist ein Bild mitten aus der Zeit der weltweiten Corona-Pandemie. Es zeigt den Sonderweg Schwedens bei der Bekämpfung des Coronavirus. Nicht Verbote und Einschränkungen stehen im Vordergrund, sondern eigenverantwortliches Umgehen mit dem Risiko der Ansteckung.

Oder, wie es Schwedens Chef-Epidemiologe Anders Tegnell in einem Gespräch mit der Wochenzeitung DIE ZEIT1 beschrieb: Es geht nicht darum zu kämpfen, welche Dinge von den Menschen in Schweden getan oder beachtet werden müssen. Es geht vielmehr darum, zu kämpfen, dass Dinge nicht getan werden.

Also zum Beispiel, dass die Grenzen nicht geschlossen werden. Dass Schließungen von Schulen oder Kindergärten nicht erfolgen. Dass Ausgangsbeschränkungen nicht erlassen werden. Dass die Wirtschaft nicht in den Ruin getrieben wird. Oder, ganz allgemein, dass das Virus nicht das Leben der Menschen bestimmt. Tegnell setzt auf Verantwortungsgefühl statt auf Zwang, denn auch Isolation und Quarantäne können Langzeitschäden in Körper und Geist auslösen.2

»Es geht um gesunden Menschenverstand«

Am 31. Januar 2020 wurde in Schweden die erste Person positiv auf das Coronavirus getestet. Es war eine Frau, die aus dem chinesischen Corona-Epizentrum Wuhan nach Schweden zurückgekehrt war. Erst Wochen später, am 26. Februar 2020 wurden in Schweden mehrere Cluster festgestellt,3 von denen aus sich das Virus verbreitete.

Wenig später, im März 2020, verkündete der schwedische Regierungschef Stefan Löfven (SAP), das Konzept4 wie gegen das Virus in Schweden vorgegangen werden soll: »Es geht dabei um gesunden Menschenverstand« und »Wir vertrauen einander. Wir brauchen keine Verbote.« Das Konzept unterschied sich damit ganz wesentlich von dem anderer Länder in Europa. Schulen, Läden, Restaurants wurden nicht geschlossen, nicht einmal in den Skigebieten wurde das Après-Ski verboten.5 Es gab lediglich Empfehlungen, untereinander Abstand einzuhalten und ansteckungsgefährdete Situationen zu meiden.

Fehler werden erkannt und korrigiert

Lange Zeit sah es aus, als ginge die »epidemiologische Rechnung« auf. Die Zahl der Infizierten hielt sich in Grenzen, die der Toten auch. Chef-Epidemiologe Tegnell sah den schwedischen Sonderweg als Erfolgsmodell: In ein paar Wochen, so dachte er damals, setzt unter der schwedischen Bevölkerung eine Art Herdenimmunität ein, mit er es gelingen kann, das Virus zu verdrängen. Doch plötzlich stiegen der Zahlen der Todesopfer rasant an und erreichten in Bezug auf die Bevölkerungszahl die 3-fache Menge anderer skandinavischer Länder.6

»Wir vertrauen einander. Wir brauchen keine Verbote.«

Stefan Löfven, schwedischer Miniterpräsident

Chef-Epidemiologe Tegnell erkannte den Fehler, der im Umgang mit dem Virus gemacht wurde: Mehr als 50 Prozent der Gestorbenen waren Hochbetagte7 in Seniorenheimen oder Menschen mit Vorerkrankungen. Der Fehler lag darin, dass der Schutz dieser Risikopersonen vernachlässigt worden war. Sofort wurde nachjustiert: Besuche in Senioreneinrichtungen waren fortan nur noch unter strengen Vorsichtsmaßnahmen möglich. Das System der häuslichen Pflege alter Menschen wurde überarbeitet. Bis dahin wurde ein Großteil dieser Pflege von freiberuflichen Pflegekräften ausgeübt, die täglich von Senior zu Senior fuhren und so für das Virus eine ideale Verbreitungssituation schufen. Von den nach Angaben des schwedischen Sozialministeriums8 etwa 1,5 Millionen Schweden, die älter als 70 Jahre sind, leben etwa 79.000 in Seniorenheimen und werden 192.000 zu Hause von Pflegekräften betreut.

Das Gesundheitssystem war zu keiner Zeit überlastet

Für den Rest der Bevölkerung aber gab es keine Verbote oder gravierende Einschränkungen. Schulen, Kindertagesstätten, Restaurants und Skigebiete blieben weiterhin geöffnet, Wirtschaftsunternehmen gingen ungehindert weiter ihren Geschäften nach.

Trotz weiter zunehmenden Infektionszahlen unter der Bevölkerung kam das schwedische Gesundheitssystem zu keiner Zeit in einen bedrohlichen Engpass. Im Durchschnitt blieben in den Kliniken etwa 20 Prozent aller Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit unbelegt.

Alle notwendigen Maßnahmen im Kampf gegen das Virus wurden von der breiten Bevölkerung freiwillig mitgetragen. Sie richteten sich in erster Linie darauf, die Verbreitung des Coronavirus so stark wie möglich zu verlangsamen, so dass dem Gesundheitssystem zu jeder Zeit ausreichend Reserven blieben. Dass auf diese Weise irgendwann eine Herdenimmunität erreicht wird, ist erwünscht, aber ein Ziel, das erst in fernerer Zukunft liegt. Chef-Epidemiologe Anders Tegnell:9

»Wir versuchen, die Ausbreitung dieser Krankheit so gering wie möglich zu halten, vor allem, um zu verhindern, dass unser Gesundheitssystem überlastet wird. Aber wir haben uns nicht für die vollständige Abschottung entschieden. Es ist uns gelungen, die Zahl der Fälle niedrig genug zu halten, so dass die Intensivstationen weiterhin funktionsfähig sind. Und es gab immer 20 Prozent leere Betten und genügend Schutzausrüstung, selbst in Stockholm, wo die Gesundheitsversorgung unter großem Stress stand. Unsere Strategie hat also funktioniert.«

Eine zweite Infektionswelle wird nicht befürchtet

Und das ganz ohne Lockdown und andere einschneidende Maßnahmen. Die Regierung des 10,23 Millionen Einwohner zählenden skandinavischen Staats und ihr beratender Chef-Epidemiologe Tegnell haben einige wenige verpflichtende Maßnahmen erlassen und ansonsten ausschließlich auf die Selbstkontrolle der Bürger gesetzt.

Anders Tegnell geht davon aus, dass mit dem »schwedischen Sonderweg« etwa 30 Prozent aller Schweden schon eine Immunität erworben haben und damit etwa die halbe Strecke zu erwünschten Herdenimmunität erreicht ist.10 Also rechnet Tegnell damit, dass in Schweden mit Freiwilligkeit und Eigenverantwortung genauso viel erreicht werden kann, wie in anderen Ländern mit Verboten und Vorschriften. Eine zweite Infektionswelle befürchtet er nicht.

Quellen & weiterführende Informationen

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