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Welch Segen Medikamente auch sind, selbst kleinste Unachtsamkeiten oder Fehler im Umgang können gravierende Folgen haben. Wie so oft, steckt auch hier der Teufel im Detail. Überdosierungen, Verwechselungen oder Unverträglichkeiten von Wirkstoffen können nicht nur schlimme und manchmal sogar bleibende Schäden verursachen, sie können sogar Leben kosten.

Krank durch Medikationsfehler

Medikamente sollen heilen. Manchmal aber machen sie krank! Zum Beispiel dann, wenn es sich um einen sogenannten Medikationsfehler handelt.

Rund 250.000 Krankenhauseinweisungen gehen jährlich in Deutschland auf Medikationsfehler zurück

»Unter einem Medikationsfehler versteht man ein (unbeabsichtigtes) Abweichen vom optimalen Medikationsprozess. Dieses kann zu einer Schädigung des Patienten führen, die grundsätzlich vermeidbar wäre. Ein Medikationsfehler kann bei jedem Schritt des Medikationsprozesses auftreten und durch jeden am Medikationsprozess Beteiligten (z.B. Arzt, Apotheker, Patient, Angehörige) verursacht werden.«1

Dass Medikationsfehler in Deutschland gar nicht so selten sind, geht aus der Antwort 19/849 der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage 19/639 der FDP-Fraktion hervor. Gefragt wurde:
»Wie viele die Patientengesundheit beeinträchtigende Interaktionen zwischen Arzneimitteln werden nach Kenntnis der Bundesregierung von den Leistungserbringern jährlich festgestellt?«

In der Antwort der Bundesregierung »kann davon ausgegangen werden, dass in Deutschland rund 250.000 Krankenhauseinweisungen jährlich auf vermeidbare Medikationsfehler zurückzuführen sind.«2

Das ist eine enorme Zahl: 250.000 Menschen werden jedes Jahr so krank, dass sie ins Krankenhaus müssen, weil sie Medikamente falsch eingenommen haben.

Die Folgen können lebensbedrohlich sein

Immer dann, wenn Medikamente eingenommen oder verabreicht werden, können Fehler passieren. Nach einer Erhebung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, einem Fachausschuss der Bundesärztekammer, geschehen 30 Prozent der Medikationsfehler bei der Einnahme oder Anwendung von Arzneimitteln, 28 Prozent bei der Verschreibung oder Verordnung sowie 24 Prozent bei der Abgabe.3

Ein typischer – und auch vermeidbarer – Fehler bei der Abgabe eines Medikaments wäre zum Beispiel, wenn ein Arzt bei der handschriftlichen Ausstellung einer Verordnung dermaßen »schmiert«, dass der Apotheker die Schrift nicht nur nicht lesen kann, sondern einen falschen Arzneimittelnamen erkennt – mit der Konsequenz, dass der Patient (im günstigeren Fall) ein für ihn wirkungsloses Medikament erhält oder (im schlechtesten Fall) aufgrund eines falschen Wirkstoffs zu Tode kommt. Auch das kommt vor.

Nach der Erhebung der Arzneimittekommission der deutschen Ärzteschaft haben die Patienten in 48 Prozent der Medikationsfehler Glück und erleiden keine schwerwiegenden Folgen. Bei 10 Prozent hingegen sind die Folgen lebensbedrohlich, bei 4 Prozent hinterlassen sie einen bleibenden Schaden und bei weiteren 4 Prozent sind sie tödlich.

Mehr Tote durch Medikamente als durch Autounfälle

Laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden verunglückten 2018 insgesamt 3.275 Menschen im Straßenverkehr durch Autounfälle tödlich. Dem stehen nach Schätzungen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ABDA jährlich zwischen 16.000 und 58.000 Todesfälle gegenüber, die direkt oder indirekt auf Medikationsfehler zurückzuführen sind. »Der Straßenverkehr ist in den letzten Jahrzehnten immer sicherer geworden, beispielsweise durch Gurtpflicht und die serienmäßige Einführung von Airbags. Vergleichbare Sicherheitsstufen müssen wir bei der Arzneimitteltherapie einführen«, forderte bereits 2015 Professor Dr. Ulrich Jaehde auf den internationalen Fortbildungskongress der Bundesapothekerkammer.4

Auch bei altbekannten Wirkstoffen passieren Medikationsfehler

Wer meint, Medikationsfehler passieren nur bei neueren Medikamenten, deren Umgang noch ungewohnt ist, der irrt. Selbst bei altbekannten Wirkstoffen kann es zu Fehlern wie Überdosierungen, Verwechslungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten kommen. Bei diesen Wirkstoffen5 sind nach Erhebungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft die meisten Medikationsfehler passiert:

  • Ibuprofen (Schmerzmittel)
  • Metamizol (Schmerzmittel)
  • Apixaban (Blutgerinnungshemmer)
  • Phenprocoumon (Blutgerinnungshemmer)
  • Methotrexat (Krebsmedikament)
  • Haloperidol (Psychopharmakon)
  • Diphterieimpfstoff
  • Tetanusimpfstoff
  • Impfstoff gegen Haemophilus influenzae
  • Erythrozyten-Transfusion (Bluttransfusion)

Laut einer Mitteilung der Bundesärztekammer werden jährlich etwa vier Millionen Erythrozytenkonzentrate transfundiert.6 Dabei ist es nicht nur einmal zu Verwechslungen gekommen, das heißt, Patienten erhielten Blut einer Blutgruppe übertragen, die nicht zu ihnen passte.

»Die Symptome sind vielfältig und können zum Beispiel Hämolyse, Rücken-/Flanken-/Brustschmerzen, Schock, Nierenversagen und Verbrauchskoagulopathie umfassen.
Akute hämolytische Transfusionsreaktionen treten innerhalb von 24 Stunden nach Transfusion auf. Dem gegenüber können sich verzögert auftretende hämolytische Transfusionsreaktionen in einem Zeitraum von über 24 Stunden bis zu 28 Tagen nach der Transfusion manifestieren.«

Ältere Patienten sind häufig überfordert

Problematisch ist es vor allen Dingen auch, wenn ältere Patienten mit der Medikation überfordert sind. Rund 46 Prozent aller Medikationsfehler kommen bei Patienten über 65 Jahren vor. Es ist ein beträchtlicher Risikofaktor, wenn der Arzt verschreibt, nur kurz erklärt und den Patienten dann nach Hause schickt. Jeder Patient muss genau wissen und verinnerlichen, welches Medikament er gegen welche Krankheit einnimmt und wie die exakte Dosierung aussieht. Fehlen das Verständnis für ein Medikament sowie das Wissen um die exakte Dosierung, kann es schnell zu Fehlern kommen.

Unter der Fallnummer DE-DCGMA-161707597 findet sich in den Akten der Bundesärztekammer das Beispiel eines 73-jährigen Patienten, der unter wiederkehrenden Gichtanfällen litt. Zur Behandlung erhielt er von seinem Arzt eine Flasche mit 100 Milliliter Colchicinlösung verordnet, dem Gift aus der Herbstzeitlose. Davon darf die maximale Tagesdosis von 8 Milligramm nicht überschritten werden. Wegen starker Schmerzen im Vorfuß nahm der Patient 50 Milliliter auf einmal ein, was einer Dosis von 25 Milligramm entspricht. 2 Tage später starb es als Folge der Überdosierung.

Es ist davon auszugehen, dass der Patient nicht eindringlich über die angemessene Dosierung sowie die Folgen einer Überdosierung informiert worden war.

Wer soll da den Überblick behalten?

Rund 20.000 verschreibungspflichtige sowie 60.000 apothekenpflichtige Arzneimittel gibt es derzeit in Deutschland.8 Verschreibungspflichtig heißt, dass der Arzt das Medikament verordnen muss und es nur gegen Rezept in der Apotheke erhältlich ist. Apothekenpflichtig bedeutet, ein Medikament ist nur in der Apotheke erhältlich, aber ohne Verordnung durch den Arzt. Hintergrund davon ist, dass der Apotheker der Überblick behalten und eventuelle Wechselwirkungen ausschließen soll. Doch wie soll das geschehen, wenn er gar nicht weiß, was der Kunde sonst alles einnimmt?

Deshalb haben seit dem 01. Oktober 2016 alle gesetzlich Versicherten in Deutschland, die auf Dauer mehr als drei verordnete Medikamente einnehmen, das Recht auf einen Medikationsplan. Zuerst in Papierform, ab 2019 auch elektronisch, sollen in diesem Plan alle Medikamente festgeschrieben sein. Der Plan soll auch stets aktualisiert werden, wenn sich etwas ändert. Das soll gefährlichen Wechselwirkungen durch verschiedene Medikamente vorbeugen.

Darüber hinaus kann man auch selbst einiges unternehmen, um das Risiko für Medikationsfehler zu verringern:

  1. Lassen Sie sich von Ihrem Arzt genau erklären, weshalb Sie ein Medikament einnehmen und wie Sie es dosieren müssen. Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstanden haben – und zwar so lange, bis nichts mehr offen ist. Das Gleiche können Sie zur Sicherheit noch einmal machen, wenn Sie das Medikament aus der Apotheke holen.
  2. Wenn Sie einen Medikationsplan haben: Legen Sie ihn Ihrem Arzt und Ihrem Apotheker regelmäßig mit der Bitte vor, zu überprüfen, ob alles noch aktuell ist.
  3. Nehmen Sie einmal im Jahr alle Medikamente, die Sie einnehmen, zum Arzt mit. Auch Mittel, die Sie selbst gekauft haben – zum Beispiel Vitaminpräparate oder Ähnliches – sollten Sie mitnehmen und vorlegen. Manchmal kann es zu Wechselwirkungen kommen, auch wenn ein Medikament noch so harmlos zu sein scheint.
  4. Nehmen Sie mehrere Medikamente über einen längeren Zeitraum parallel ein, sollten Sie Ihren Arzt ein- bis zweimal im Jahr fragen, ob wirklich alle Präparate noch notwendig sind. Manchmal erübrigen sich Mittel, wenn sie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden.
  5. Verändern Sie nie ohne Rücksprache mit dem Arzt die vorgegebene Dosis oder setzen Sie ein Medikament ab. Das kann böse Folgen haben.
  6. Sofern Sie bei mehreren Ärzten gleichzeitig in Behandlung sind, sollten Sie einen auswählen, der immer den Überblick über alle Medikamente hat. So kann das Risiko von Wechselwirkungen reduziert werden. Offene Fragen zur Medikation kann er in der Regel in kurzen Telefonaten mit seinen Kollegen klären. Es empfiehlt sich, dass der Hausarzt die zentrale Stelle für den Medikamentenüberblick ist und auch wirklich immer informiert wird, wenn Facharztkollegen etwas verordnen.

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