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Immer mehr wissenschaftliche Ergebnisse zeigen einen hohen medizinischen Wert von Cannabis. Unser Körper stellt selbst Cannabinoide her, die dann mit Rezeptoren im Gehirn, den Lungen, der Leber, der Niere, dem Immunsystem und Organen, Geweben und Blutgefäßen interagieren. Aktiviert werden sie durch die therapeutischen und psychoaktiven Eigenschaften der Pflanze.1
Die Cannabis-Pflanze kann so gezüchtet werden, dass sie einen hohen Anteil an Cannabidiolen (CBD) und einen geringen Anteil an Tetrahydrocannabinol (THC) aufweist. Es ist das THC, das psychoaktiv wirksam ist, CBD fehlen diese Eigenschaften. Die Pflanze enthält zudem Terpene, Öle, die für den typischen Geschmack und Geruch von Cannabis verantwortlich sind.
Bis heute haben Forscher hunderte chemische Verbindungen in der Pflanze entdeckt, darunter Cannabinoide, Terpene und andere Phytochemikalien.2 In China wird der gewöhnliche Hanf (Cannabis sativa) historischen Unterlagen zufolge seit 2.000 Jahren genutzt.3 Schon in alten Texten ist die Rede davon, dass Cannabis bei Schmerzen und psychischen Störungen zur Anwendung kommen sollte.
Bei der aktuellen Forschung geht es viel darum, wie sich CBD und THC auf Entzündungen auswirken. Als 2003/2004 die erste SARS-Epidemie ausbrach, stellten Wissenschaftler fest, dass die Terpene aus Cannabis und anderen Pflanzen antiviral wirken.4
Untersuchungen an speziellen Sorten von Cannabis sativa
Wenn SARS-CoV-2 in die menschliche Zelle eindringt, koppelt das Virus dafür an den Rezeptor für das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2) an.5 Dieser Rezeptor sitzt an der Oberfläche vieler Zellarten, aber vor allem in den Schleimhäuten von Mund und Nase, in den Lungen, dem Darmtrakt, der Leber, den Nieren und dem Gehirn.6
Mithilfe von Spike-Proteinen bindet sich das Virus an den ACE2-Rezeptor und gelangt auf diesem Weg in die Zelle. Wissenschaftler untersuchen derzeit, ob sich dieses Einfallstor so beeinflussen lässt, dass die Menschen weniger anfällig für eine Infektion mit dem Virus sind. Eine Gruppe ging dabei der Frage nach, inwieweit sich Cannabis auf die ACE2-Rezeptoren auswirkt.7
Die Forscher arbeiteten mit dem Extrakt hunderter unterschiedlicher Sorten von Cannabis sativa und einem computergenerierten Modell von Mund, Luftröhre und Darmgewebe des Menschen. Vorläufigen Daten zufolge konnte das Extrakt von 13 Sorten Cannabis sativa mit hohem CBD-Gehalt verhindern, dass das Virus in die Zelle eindrang.
Zur Überprüfung der Ergebnisse müssten größter angelegte Untersuchungen folgen, so die Forscher, aber die ersten Ergebnisse mögen ein vorläufiges Indiz dafür sein, dass diese Extrakte eine nützliche Rolle in der Begleittherapie spielen können.
Die Forscher empfehlen die Entwicklung von Präventivtherapien. So könnten Mundspülungen dazu führen, dass weniger Viren über die Mundschleimhaut in den Körper gelangen. Einer der Forscher, Dr. Igor Kovalchuk, sprach mit dem Calgary Herald über die Ergebnisse:8
»Eine Reihe von ihnen hat die Zahl dieser Virusrezeptoren um 73 Prozent reduziert. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit eines Eindringens viel geringer. Wenn sie die Zahl der Rezeptoren reduzieren können, ist die Wahrscheinlichkeit, infiziert zu werden, viel geringer. Es wird lange dauern, bis wir den eigentlichen Wirkstoff gefunden haben – möglicherweise sind es auch viele.«
Ältere Daten sprechen für eine antivirale Wirkung einiger Terpene
Forscher vom Israel Institute of Technology sprachen unterdessen mit Health Europa über eine aus Cannabis gewonnene Terpene-Formel, die gegen SARS-CoV-2 getestet wird.9
Nach dem SARS-Ausbruch 2002 meldete Health Europa, Wissenschaftler hätten festgestellt, dass Terpene antiviral wirken und Schwere und Ausbreitung einer Infektion eingrenzen könnten, weil sie das Virus am Eindringen in menschliche Zellen hindern. Der Leiter des Teams, Dr. Dedi Meiri, erklärte, Kollegen würden derzeit Cannabis-Forschung betreiben, die in zwei Richtungen zielen:
»Als erstes werden wir versuchen, die Pflanzenmoleküle zu identifizieren, die die Immunreaktion auf das COVID-19-Coronavirus unterdrücken können. Die Immunreaktion führt zu Entzündungen und einer schweren Erkrankung. Wir wollen die Reaktion des Immunsystems abmildern, ohne es zu unterdrücken, und auf diese Weise für eine bessere Komplementärtherapie zu den Steroiden beitragen, die das Immunsystem komplett unterdrücken.«
In der zweiten Studie befassen sich die Forscher damit, wie das Cannabis-Molekül sich auf diejenigen Prozesse auswirkt, die ablaufen, während das Virus über den ACE2-Rezeptor eine Zelle befällt. Seit dem ersten SARS-Ausbruch im Jahr 2003 suchen Forscher nach Möglichkeiten, die ACE2-Rezeptoren zu beeinflussen.10
Sie hoffen, dass Cannabis-Terpene dabei helfen können, eine überschießende Reaktion des Immunsystems zu vermeiden, zu der es bei COVID-19 kommen kann. Dieser sogenannte Zytokinsturm kann ein Organversagen verursachen, das zum Tod führt.11
2007 veröffentlichte das Journal of Medicinal Chemistry eine Studie, in der 221 Phytokomplexe daraufhin untersucht wurden, wie sie auf SARS reagierten. Die Autoren der Studie leiteten bei Zellkulturen cytopathogene Effekte ein und testeten dann Terpenoide, Lignoide und Curcumin an den Zellkulturen.12
22 Komplexe konnten die Ausbreitung pathogener Zellen und die Virusreplikation um 50 Prozent senken. Die Forscher stellten die These auf, dass spezielle Formen von Diterpenoiden und Lignoiden im Reagenzglas stark gegen das SARS-Virus wirksam sind.
Terpenoide haben in Cannabis zudem möglicherweise einen synergistischen Effekt, der in Kombination mit anderen Phytochemikalien bei der Behandlung von Schmerzen, Entzündungen und bakteriellen Infekten von Nutzen sein kann.13
Übertriebene Schlagzeilen in den Social Media
Die bisherigen Forschungsergebnisse sind vielversprechend, aber einige Informationen wurden unter übertriebenen Überschriften veröffentlicht. Die Webseite MerryJane beispielsweise titelte »Studie: Cannabis könnte Ansteckung mit Coronavirus verhindern«.14 Diese Schlagzeile wurde rasch von anderen sozialen Medien aufgegriffen und geteilt, bis Facebook sie wegen »Falschinformation und Fehlinformation« sperrte.15
Die Überschrift mag irreführend sein, aber inhaltlich entsprach der MerryJane-Artikel dem Stand der Forschung. Er gab die Daten korrekt wieder und verwies auf die Schwachstellen der Studie. Auch das Forbes Magazine berichtete über die Studie. Der Autor verknüpft einen Artikel der New York Post mit dem viralen Facebook-Inhalt und führt auch ein Zitat an, das von der New York Post zu stammen scheint:16,17
»Wie MarketWatch-Reporter Max Cherney anmerkte, fiel die Aktienrally zeitlich in etwa mit der Veröffentlichung der New York Post zusammen. Sie hatte über eine große Story berichtet, die zuvor auf Facebook viral gegangen war und später als Fake News markiert worden war. Es ging um die These aus einer präklinischen Arbeit aus dem April. Kanadische Forscher hatten in der Arbeit behauptet, CBD-reiche Cannabis-Sorten könnten das Coronavirus verhindern und behandeln.«
Kovalchuk sprach mit einem Reporter von Politifact und bestätigte, dass die Überschrift eine Übertreibung war.18 Auch der Forbes-Reporter sprach mit Kovalchuk, der erklärte:19
»Es senkt die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren. Ich habe niemals behauptet, es würde es verhindern oder vollständig blockieren. Es ist eine mögliche Behandlungsmethode. Eine Behandlung ist keine Heilung. Wenn [Meldungen] sagen, es behandele COVID oder könne möglicherweise COVID behandeln, dann ist das absolut zutreffend.«
Terpene-Extrakt könnte COVID-19-Handdesinfektion verbessern
Mitte April teilte das Unternehmen Vanguard Scientific mit, einen neues Mittel zur Handdesinfektion entwickelt zu haben, das auf einem Terpenextrakt beruht. Der Handreiniger enthält ein Reinigungsmittel auf Alkoholbasis, dem aus Cannabis gewonnene Terpene zugesetzt werden. Nach Angaben des Unternehmens könnte dies »die antibakterielle, antimikrobielle und antivirale Wirkung des Produkts verbessern«.20
Vanguard Scientific rief zudem das Open-Source-Projekt »Terpenes-Clean« ins Leben und stellte dafür die Rezeptur und die Standardarbeitsanweisung des Reinigers kostenlos einsehbar ins Internet. »Terpenes-Clean« soll Wissenschaftler aus aller Welt zusammenbringen, um ein hochwirksames Handreinigungsmittel zu entwickeln. Vanguard-CEO Matthew Anderson sagte:21
»Wie alle Industriezweige ist auch das Geschäft mit Pflanzenextrakten durch die COVID-19-Krise stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Als Unternehmen, das mit seinen Kunden an spezialisierten pflanzlichen Extrakten arbeitet, sind wir darauf fokussiert, Möglichkeiten zu finden, um im Kampf gegen das Virus zu helfen.«
»Wir wissen, dass traditionelle Heiler seit Jahrhunderten mit Mischungen pflanzlichen Ursprungs als sehr wirksame Medizin arbeiten, also bieten wir dem Rest der Branche unsere Expertise an, damit sich andere bei der Erstellung eines seifenlosen Handreinigers anschließen können, bei dem die wissenschaftliche Expertise der Branche zum Tragen kommt und der das Angebot an Produkten zur Handreinigung erweitert.«
»Open Source treibt die Innovation voran und fördert gleichzeitig die Zusammenarbeit und Einführung bei maximaler Transparenz. Jeder kann ein Open-Source-Projekt auf Fehler oder Unbeständigkeiten abklopfen. In regulierten Branchen ist das wichtig.«
Cannabinoide beeinflussen das Herz-Kreislauf-System
Bei einer Versammlung der American Heart Association stellten Wissenschaftler vergangenes Jahr Daten vor, wonach bei jungen Menschen mit der Diagnose »Cannabis-Abhängigkeit« (Cannabis Use Disorder) die Wahrscheinlichkeit, mit Herzrhythmusstörungen ins Krankenhaus zu müssen, um 47 bis 52 Prozent höher war als bei Menschen ohne diese Diagnose.22
Für die Studie untersuchten Wissenschaftler die Daten von mehr als 67 Millionen Krankenhauspatienten. Der Effekt schien demnach von der Dosierung abhängig zu sein. Bei geringeren Dosen war eine Verbindung zu einem raschen Herzschlag zu beobachten, während höhere Dosen mit einer zu langsamen Herzschlag verbunden waren.23
In einer zweiten Studie zeigte sich, dass bei Personen, die an mehr als 10 Tagen im Monat Cannabis konsumieren, das Infarktrisiko gegenüber Nichtkonsumenten um das 2,5-Fache erhöht ist.24 Noch höher lag das Risiko bei Personen, die Zigaretten oder E-Zigaretten konsumierten, dort war es mehr als dreimal so hoch.
Cannabinoid-Rezeptoren sitzen im Gehirn, der Lunge, der Leber, den Nieren und anderen Organen sowie in Geweben und Blutgefäßen. Die Harvard Medical School beschreibt die Folgen von Cannabinoiden auf die Herzgesundheit so:25
»Zu den wenigen Dingen, die Wissenschaftler mit absoluter Gewissheit über Marihuana und kardiovaskuläre Gesundheit wissen, gehört, dass Menschen mit nachgewiesener Herzerkrankung unter Stress nach dem Rauchen von Marihuana schneller Brustschmerzen bekommen, als es normalerweise der Fall wäre.«
»Ursache sind die komplexen Auswirkungen, die Cannabinoide auf das Herz-Kreislauf-System haben. So erhöhen sie beispielsweise die Ruheherzfrequenz, weiten Blutgefäße und sorgen dafür, dass das Herz härter schlägt. In der Stunde nach dem Rauchen von Marihuana ist das Herzinfarktrisiko um ein Mehrfaches größer als normalerweise.«
Der Nutzen von medizinischem Cannabis
Sieht man sich an, wie die Cannabinoid-Rezeptoren im Körper verteilt sind, überrascht es nicht, dass ausgewogene Dosierungen zur Linderung von Problemen beitragen können. Die Indizien für einen therapeutischen Nutzen bei der Behandlung von Migräne und Kopfschmerz nehmen zu, auch beim Entgiften und der Entwöhnung von einer Opioid-Abhängigkeit kann medizinisches Cannabis hilfreich sein.26
Die US-Gesundheitsbehörde NIH hat neun Forschungsstipendien mit einem Gesamtvolumen von 3 Millionen Dollar vergeben, damit untersucht wird, welches Potenzial Cannabis bei der Schmerzlinderung hat. Um einen Bogen um die »Nachteile von THC« zu machen, befassen sich die Studien mit der biologischen Aktivität der nicht psychoaktiven natürlichen Substanzen im Cannabis.
Helene Langevin, die Leiterin des National Center for Complementary and Integrative Health, sagte über die Notwendigkeit, bei der Schmerzbekämpfung auf sichere und wirksame Optionen zurückgreifen zu können:27
»In der Vergangenheit hat sich die Behandlung chronischer Schmerzen stark auf Opioide verlassen, obwohl diese süchtig machen können oder überdosiert werden können und obwohl sie bei Langzeitnutzung oftmals nicht gut funktionieren. Es besteht ein dringender Bedarf an wirksameren und sichereren Alternativen.«
Abhängig von der Cannabis-Sorte ändert sich das Verhältnis von Phytochemikalien, Cannabinoiden und Terpenen, was eine zentrale Rolle spielen kann. Ergebnisse einer Studie, die unter Führung von Forschern der Unis Massachusetts und Bath durchgeführt wurde, bestätigten die wissenschaftlichen Gründe für einen Einsatz von Cannabinoiden zur Linderung von Darmproblemen und insbesondere entzündlichen Darmerkrankungen.28
Es gibt Menschen, die kein gutes Gefühl haben, was die Nutzung und die Freigabe von medizinischem Cannabis anbelangt. Ich möchte diesen Menschen ans Herz legen, sich die Forschungsergebnisse vorzunehmen und sich anzusehen, wie die Ärzte in der klinischen Praxis mit medizinischem Cannabis arbeiten.
Dieser Artikel erschien erstmal am 08. Juni 2020 auf Mercola.com.