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Antibiotikaresistente Keime können überall lauern
Es war einfach Pech. Im März 2017 plumpste ein 68-jähriger Mann in den Eschbach, ein kleines Gewässer im Norden Frankfurts. Rettungskräfte zogen ihn heraus und lieferten ihn mit einem Jochbeinbruch zur Versorgung in das Sana Klinikum in Offenbach. Da es ihm zunehmend schlechter ging, wurde er zur Weiterbehandlung auf die Intensivstation der Frankfurter Universitätsklinik verlegt.
Bei einem routinemäßigen Keim-Screening wurde Klebsiella pneumoniae 4-MRGN entdeckt.1 Der Keim war beim Sturz in den Bach mit dem Wasser in die Lunge des Mannes gelangt. 2 Tage später starb der Patient – zwar wegen einer anderen Erkrankung, doch wegen des Keims wäre es ein paar Tage später vermutlich genauso ausgegangen. Klebsiella pneumoniae 4-MRGN stellte sich als resistent gegen alle bekannten Antibiotika heraus. Selbst Reserveantibiotika, die für solche Fälle vorgesehen sind, konnten ihm nichts anhaben.
Hätte der Mann keine andere Erkrankung gehabt, wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Folgen der Entzündung in der Lunge gestorben, die Klebsiella pneumoniae bei ihm ausgelöst hätte. Er hatte das Pech, sich über den scheinbar harmlosen Kontakt mit einem Gewässer todbringende Keime einzufangen. Dieser Vorfall zeigt, welche große Gefahr antibiotikaresistente Bakterien mittlerweile darstellen. Sie lauern nicht mehr nur in Kliniken, sondern können auch aus der Umwelt aufgeschnappt werden.
Seit bald 100 Jahren bekannt
Rund 700.000 Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen gibt es jedes Jahr in Europa. Mehr als 33.000 Menschen sterben daran, weil ihnen kein Medikament mehr helfen kann.2 Selbst Reserve-Antibiotika sind bei ihnen wirkungslos. Rund ein Drittel der Infektionen mit den gefährlichen Keimen geschieht in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitssystems. Der Rest sind Ansteckungen im Alltag und aus der Umwelt. Am häufigsten betroffen sind Babys unter einem Jahr und Senioren über 65 Jahren.
Der Grund, dass es überhaupt Bakterien gibt, die gegen Antibiotika unempfindlich geworden sind, ist der oberflächliche und massenhafte Einsatz dieser Medikamente. Als der Mediziner und Bakteriologe Alexander Fleming 1928 in London mit Penicillin das erste Antibiotikum entdeckte, war das eine Sensation. Bakterienverursachte Krankheiten, die bis dahin häufig ein Todesurteil waren, schienen der Vergangenheit anzugehören. Plötzlich wurden diese Krankheiten behandelbar, man musste bloß ein Antibiotikum einnehmen. Die Therapie schwerer und häufig tödlicher Krankheiten war auf einmal leicht und unkompliziert.
Die Superwaffe ist stumpf geworden
Doch mittlerweile hat die Wunderwaffe »Antibiotikum« deutlich an Schlagkraft verloren. Viele Bakterien sind bereits resistent gegen Antibiotika und immer mehr werden es noch. Etliche sind sogar multiresistent, das heißt, dass ihnen mehrere verschiedene Antibiotika nichts mehr anhaben können – oder sogar alle bislang erhältlichen.
Diese Resistenzen entstehen in der Regel durch Mutationen. Jedes Mal, wenn Bakterien sich vermehren und dazu teilen, kann es zu zufälligen Veränderungen in der Erbsubstanz kommen – darunter auch zu Veränderungen, welche die Keime unempfindlich für Antibiotika machen. Diese Bakterien pflanzen sich weiter fort und können ihre Gene, die sie vor Antibiotika schützen, sogar an andere Bakterien weitergeben. Dabei sind die Keime äußerst raffiniert, was die Methoden angeht, mit denen sie Antibiotika unwirksam machen:3
- Proteinblockade: Einer der Mechanismen, mit denen Antibiotika gegen Bakterien vorgehen, ist, dass sie ein Protein blockieren, das die Keime zum Überleben brauchen. Resistente Bakterien haben aber eine Möglichkeit gefunden, stattdessen ein alternatives Protein zu bilden, das von Antibiotika nicht mehr blockiert werden kann, sodass ihnen die Medikamente auch nichts mehr anhaben können.
- Schutzproteine: Andere Bakterien haben gelernt, Proteine herzustellen, welche die Antibiotika sogar neutralisieren. Die Medikamente werden wirkungslos, noch ehe sie die Keime bekämpfen können.
- Bindungsschranke: Verschiedene Antibiotika wirken, indem sie an bestimmte Proteine oder Strukturen von Bakterien andocken und die Keime dann abtöten. Durch Mutationen haben die Bakterien diese Zielproteine oder Zielstrukturen leicht verändert, sodass die Antibiotika praktisch blind sind und ihr Ziel nicht mehr finden. Sie können nicht mehr daran anhaften und werden deshalb wirkungslos.
- Zellwandveränderungen: Die Wirkung einzelner Antibiotika kommt zustande, indem deren Wirkstoffe durch die Zellwände in das Innere der Bakterien eindringen und sie so von innen heraus abtöten. Doch bereits leichte Veränderungen der Zellwände, wie sie einzelne Bakterienarten erreicht haben, können das Eindringen der Antibiotika unterbinden.
- Pumpmechanismen: Andere Bakterienarten wiederum haben Pumpmechanismen entwickelt, die in deren Inneres eingedrungene Antibiotika wieder nach außen leiten. Auf diese Weise halten sie die innere Antibiotikakonzentration auf einem so niedrigen Niveau, dass ihnen noch kein Schaden entsteht.
- Proteinfülle: Einzelne Bakterienarten haben durch Mutation gelernt, in ihrem Inneren viel mehr Proteine zu produzieren wie sie zum Überleben benötigen. Antibiotika, deren Wirkung darin besteht, überlebenswichtige Bakterienproteine zu blockieren, werden auf diese Weise ausgebremst. Ein Teil der Proteine wird durch die Antibiotika zwar blockiert – es bleiben aber immer noch genügend übrig, die die Keime am Leben erhalten.
- Biofilme: Manche Keime bilden durch die Ausscheidung von Schutzsubstanzen sogenannte Biofilme, die Antibiotika von ihnen fernhalten. Ein Mechanismus ist, dass die Keime sich hinter einem Biofilm verstecken und nicht erkannt werden. Ein anderer Mechanismus ist, dass ein Biofilm die Antibiotikawirkstoffe von den Bakterien fernhalten, so dass diese wie hinter einer Schutzmauer vor den Medikamenten sicher sind.
- Zellschlaf: Es gibt Bakterien, die in gesunde Körperzellen eindringen, im Inneren ihren Stoffwechsel herunterfahren und in eine Art Ruhezustand verfallen. So werden sie weder vom Immunsystem noch von Antibiotika erkannt. Erst, wenn die Wirtszelle nach längerer Zeit abstirbt, werden die Keime freigesetzt und aktiviert. Zwar können sie dann von Antibiotika abgetötet werden, aber es dauert einige Tage, bis die Wirkung einsetzt. Die Entzündungen klingen dann erst ab. Doch in anderen Wirtszellen »schlafen« weitere Keime, die erst danach wieder freigesetzt werden. Dies könnte erklären, weshalb manche Infektionen trotz Einsatz von Antibiotika nicht endgültig abheilen, sondern stets einige Zeit nach dem Abklingen neu aufflammen und allmählich chronisch werden.
Schädlicher Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung
Es gibt keine einzige Bakterienart, die nicht gegen Antibiotika resistent wird. Als multiresistent werden Keime bezeichnet, die gegen mehrere Antibiotikaarten gleichzeitig unempfindlich geworden sind. Das kann zum Beispiel sein, weil verschiedene Antibiotika über den gleichen Mechanismus wirken. Oder weil Keime mehrere Wege entwickelt haben, mit denen sie sich gleichzeitig vor verschiedenen Antibiotikawirkungen schützen können.
Doch auch neue Antibiotika sind keine Lösung auf Dauer. Als Faustformel gilt: Etwa 1 Jahr, nachdem ein neues Antibiotikum auf den Markt gebracht wird, tauchen die ersten Bakterien auf, die dagegen resistent sind. Es ist deshalb wichtig, diesen Zeitraum vom ersten Einsatz eines Antibiotikums bis zu den ersten Resistenzen möglichst auszudehnen. Und dies kann nur dadurch bewirkt werden, indem ein Antibiotikum möglichst sparsam und gut überlegt eingesetzt wird. So ist es völlig unsinnig, Antibiotika zum Beispiel gegen Mandelentzündungen oder Erkältungen einzusetzen. Etwa 90 Prozent alle Mandelentzündungen und rund 95 Prozent aller Erkältungen werden von Viren verursacht – und dagegen hilft ein Antibiotikum überhaupt nicht. Antibiotika sind ausschließlich gegen Bakterien wirksam.
Vor diesem Hintergrund ist es gut vorstellbar, welchen immensen Schaden der breite Einsatz von Antibiotika bei der Nutztierhaltung verursacht. Häufig ist es sogar so, dass Antibiotika wie mit einer Gießkanne über Tierbestände ausgebracht werden, bei denen lediglich einzelne Tiere erkrankt sind. Kein Wunder, dass der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bei einer Untersuchung von Putenfleisch aus verschiedenen Discountern 2015 nachweisen konnte, dass 88 Prozent der Fleischproben mit multiresistenten Keimen verunreinigt waren.4
Bakterien mit den häufigsten Resistenzen
Auch wenn im Prinzip jede Bakterienart resistent gegen Antibiotika werden kann, sind es häufig immer wieder einige wenige Arten, die in diesem Zusammenhang auffallen. Zu ihnen gehören:5
- Pseudomonas aeruginosa: Diese Bakterien gehören weltweit mit zu den häufigsten Ursachen für Lungen-, Wund- und Harnwegsinfektionen. Besonders gefährlich sind sie als Auslöser von Blutvergiftungen (Sepsis). Einige Stämme von ihnen gelten mittlerweile als multiresistent, da sie gegen viele verschiedene Antibiotika unempfindlich geworden sind.
- Klebsielle pneumoniae: Diese Art von Bakterien, die zu den Enterobakterien gehört, sind häufig Erreger von Weichteil-, Lungen- und Harnwegsinfektionen. Außerdem gehören sie zu den häufigsten Erregern von Blutvergiftung. Viele Stämme dieser Bakterien sind mittlerweile multiresistent geworden und unempfindlich gegen sehr viele Antibiotika.
- Staphylococcus aureus: Menschen mit einem gesundem Immunsystem kann dieser Keim nichts anhaben. Er kommt natürlich auf der Haut und im Mund-Nasen-Raum vor. Ist das Abwehrsystem allerdings geschwächt, kann dieser Keim Haut-, Weichteil- und Atemwegsinfektionen hervorrufen. Durch gezielte Hygienemaßnahmen, insbesondere in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen, konnten Infektionen durch Staphlococcus aureus in den letzten Jahren allerdings etwas zurückgedrängt werden.
- Serratien: Diese ebenfalls zu den Enterobakterien gehörenden Keime wirken sich beim Menschen fatal aus, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Dann können sie Entzündungen der Herzinnenhaut, Meningitis, Augen- oder Wundentzündungen verursachen. Besonders gefährdet sind auch Neu- sowie Frühgeborene. Noch werden Resistenzen bei Serratien vergleichsweise selten beobachtet, sie nehmen allerdings zu.
- Acinetobacter: Diese Bakterien sind gefürchtet, wenn bei Patienten Katheter verwendet werden müssen, zum Beispiel Blasenkatheter. Bei den Katheter-Eintrittsstellen sind sie häufig der Grund für Infektionen, ebenso wie für Wundinfektionen. Immer häufiger werden bei diesen Keimen Multiresistenzen festgestellt.
- Escherichia coli: Sie kommen beim Menschen auf natürliche Weise im Darm vor. Aber wehe, es gelingt ihnen, das ihnen zugewiesene Reservat zu verlassen. Dann werden sie häufig zur Ursache von Magen-, Harnwegs-, Wund- und Atemwegsinfektionen sowie – seltener – von Sepsis. Gerade in jüngerer Zeit gestaltete sich die Behandlung solcher Infekte immer schwieriger, da diese Keime zunehmend antibiotikaresistent wurden.
- Clostridioides difficile: Diese Keime nutzen eine vorausgegangene Antibiotikabehandlung gegen andere Bakterien zu ihrem Vorteil. Sie halten still, bis ein Patient wegen der anderen Erkrankung mit Antibiotika behandelt wurde. Sind die im Zuge dieser Therapie nützlichen Darmkeime dezimiert, kommt die Stunde von Clostridioides difficiles. Diese Bakterien vermehren sich dann fast explosionsartig im Darm und können von leichten bis hin zu lebensbedrohlichen Formen verschiedene Arten von Darmentzündungen hervorrufen.
Helfen Sie mit, Antibiotikaresistenzen vorzubeugen
Geht die Entwicklung wirklich so weiter, dass immer mehr Bakterien resistent gegen Antibiotika werden, dann kann es in wenigen Jahren so weit sein, dass Menschen an Erkrankungen sterben müssen, die heute kaum als harmlos gelten. Deshalb sollte heute schon jeder dazu beitragen, mit dem richtigen Umgang mit diesen Medikamenten dafür zu sorgen, dass sie auch morgen noch hoch wirksam sind und Leben retten können. Dazu gehört:
- Drängen Sie Ihren Arzt nie zur Verschreibung von Antibiotika, nur damit er Ihnen einen Gefallen erweist. Hält er Antibiotika zur Behandlung einer Erkrankung für nicht angebracht, hat er dafür seine Gründe.
- Halten Sie sich streng an die Einnahmevorschrift, die Ihnen der Arzt gibt. Während man früher sagte, dass eine angebrochene Packung Antibiotika immer bis zum Ende eingenommen werden muss, weiß man heute, dass auch kürzere Einnahmezyklen sehr gut wirken – und der Bildung von Resistenzen vorbeugen können. Limitiert Ihr Arzt die Einnahme auf wenige Tage, dann sollten Sie das unbedingt beachten.
- Nehmen Sie Einnahmevorschriften wie etwa bestimmte Zeitabstände oder das Verhältnis zur Nahrungsaufnahme immer ernst. Dreimal täglich heißt alle 8 Stunden und nicht dreimal tagsüber. Vor dem Essen hat seinen Grund, da nach dem Essen die Aufnahme der Wirkstoffe in den Organismus blockiert sein kann. Verzichten Sie, falls es gefordert wird, konsequent auf Alkohol.
- Und, ganz wichtig: Besorgen Sie sich nie auf eigene Faust ohne Rücksprache mit dem Arzt ein Antibiotikum, etwa aus dem Internet. Sie fördern damit nicht nur die Bildung von Resistenzen, sondern können sich damit auch ganz erheblich selbst schaden – bis hin zu lebensbedrohlichen Komplikationen.