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N-Acetylcystein (NAC) wird seit langem als Erste-Hilfe-Mittel bei Paracetaminophen- (Paracetamol-) Vergiftungen eingesetzt. Notärzte verabreichen es in Fällen, in denen eine Überdosis Tylenol oder andere Paracetaminophen-Produkte eingenommen wurden. Es neutralisiert die toxischen Wirkungen des Medikaments, indem es den Glutathionspiegel erhöht, wodurch eine Schädigung der Leber verhindert werden.
Interessanterweise kann NAC auch bei COVID-19 nützlich sein, wie der Pulmologe Dr. Roger Seheult in seinem MedCram-Video oben erklärt. Durch die Erhöhung des Glutathions trägt es zur Bekämpfung von oxidativem Stress bei, einer der Hauptfaktoren des Zytokinsturms im Zusammenhang mit COVID-19.
Eine kürzlich durchgeführte Literaturanalyse1 brachte den Glutathionmangel mit dem Schweregrad der COVID-19-Erkrankung in Verbindung. Dies veranlasste den Autor zu der Schlussfolgerung, NAC sei möglicherweise sowohl zur Vorbeugung als auch zur Behandlung nützlich. Es kann auch die in vielen Fällen beobachtete ungewöhnliche Blutgerinnung verhindern und hilft, dicken Schleim in den Lungen zu lösen.
In den USA geht das Gesundheitsministerium gegen NAC vor
Interessanterweise geht die U.S. Food and Drug Administration nun plötzlich hart gegen NAC als Mittel zur Behandlung von COVID-19 vor. Sie behauptet, es sei kein Nahrungsergänzungsmittel, da es 1985 als neues Medikament zugelassen wurde.2 Daher könne es als auch nicht als ein solches vermarktet werden.
Beobachtet man den Markt für Nahrungsergänzungsmittel, würde man dies sicherlich nicht erwarten. Wie Natural Products Insider3 berichtet, gibt es in der Datenbank der National Institutes of Health nicht weniger als 1.170 NAC-haltige Produkte, die ebendort als Nahrungsergänzungsmittel gekennzeichnet sind.
Wie dem auch sei, am 29. Juli 2020 gab die FDA bekannt,4 sie habe Abmahnungen an sieben Unternehmen verschickt, die NAC als ein Mittel gegen Kater vermarkten. Darin heißt es:
»Ein Kater tritt nach einer Alkoholvergiftung auf. Wie alle Vergiftungen verursacht auch eine Alkoholvergiftung – abhängig von der Dosis – Dysfunktionen und Schäden, die von leichten Beeinträchtigungen bis hin zum Tod reichen … Die Produkte, die in diesen Abmahnungen beschrieben und als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnet werden, sind nicht zugelassene neue Medikamente und wurden von der FDA weder als sicher noch als pharmakologisch wirksam eingestuft.«
Mitglieder des Council for Responsible Nutrition haben die Sorge geäußert, die Abmahnungen könnten darauf hindeuten, dass die FDA erwägt, NAC stärker ins Visier zu nehmen.
Obwohl die FDA in ihren Abmahnungen COVID-19 nicht erwähnt, ist der Zeitpunkt ihres Durchgreifens gegen NAC, das als wirksames Mittel gegen Kater vermarktet wird, interessant. Besonders auch im Hinblick darauf, dass Nachrichten über seinen potenziellen Nutzen gegen die Virusinfektion verbreitet haben und die Forschung dabei ist zu prüfen, ob es bei der Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden könnte.
Gegenwärtig sind sieben Studien mit NAC für den Einsatz bei COVID-19 in Clinicaltrials.gov gelistet.5 Die Zeit wird zeigen, ob die FDA letztendlich versucht, den Zugang zu NAC-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln zu blockieren, ähnlich wie der Zugang zu Hydroxychloroquin verhindert wurde.
NAC hemmt die Virusvermehrung
Die Idee, dass NAC gegen Virusinfektionen hilfreich sein kann, ist nicht neu. Frühere Studien haben herausgefunden, dass es die Replikation bestimmter Viren, einschließlich des Grippevirus, reduziert. Wie der staatlich geprüfte Ernährungswissenschaftler Joseph Debé berichtet,6
»wurde NAC in einer 6-monatigen Humanstudie7 zu Influenza getestet. Es handelte sich um eine randomisierte, doppelblinde und plazebokontrollierte Studie mit 262 Personen. Die Hälfte der Versuchspersonen erhielt 6 Monate lang zweimal täglich 600 Milligramm NAC, die andere Hälfte ein Placebo.«
»Es wurde festgestellt, dass NAC die Immunfunktion verbessert und den Schweregrad von Influenzainfektionen verringert. Beide Gruppen hatten ähnliche Infektionsraten mit dem Influenzavirus A/H1N1. Während jedoch 79 Prozent der mit Placebo behandelten Personen Infektionen mit Symptomen aufwiesen, waren nur 25 Prozent der mit NAC behandelten Probanden symptomatisch!«
»Insgesamt gab es 99 grippeähnliche Episoden (symptomatische Perioden), die während der 6-monatigen Studie bei 62 Personen in der Placebogruppe auftraten. 48 Prozent davon wurden als leicht, 47 Prozent als mittelschwer und 6 Prozent als schwer eingestuft.«
»In der NAC-Gruppe traten bei 37 Personen 46 grippeähnliche Episoden auf. 72 Prozent davon wurden als leicht, 26 Prozent als mittelschwer und nur 2 Prozent als schwer bewertet. Die Betroffenen waren an sehr viel weniger Tagen bettlägerig.«
Bemerkenswert ist, dass in der von Debé zitierten Studie8 die Zahl der zu behandelnden Teilnehmer (NNT – number needed to treat) 0,5 beträgt, was bedeutet, dass eine von zwei mit NAC behandelten Personen vor einer symptomatischen Grippe geschützt ist.
Das ist deutlich besser als bei Grippeimpfstoffen, die eine NNV (number needed to vaccinate) von 71 haben,9 was bedeutet, dass 71 Personen geimpft werden müssen, um einen einzigen Fall einer bestätigten Grippe zu verhindern. Das ist sogar besser als Vitamin D, das einen NNT von 33 aufweist.10 Selbst bei Personen, die zu Beginn der Studie unter einem schwerem Vitamin-D-Mangel litten, hatte die Einnahme von Vitamin D immer noch einen NNT von 4.
NAC hemmt proinflammatorische Zytokine
Außerdem hat sich gezeigt, dass NAC die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine in den Zellen hemmt, die mit dem hochpathogenen H5N1-Grippevirus infiziert sind. Die Autoren einer dieser Studien geben an:11
»Die antiviralen und entzündungshemmenden Wirkungen von NAC umfassen die Hemmung der Aktivierung oxidationsempfindlicher Pfade einschließlich des Transkriptionsfaktors NF-κB und der p38-mitogenaktivierten Proteinkinasen (p38 MAPK) …«
»NAC hemmt die H5N1-Replikation und die H5N1-induzierte Produktion von proinflammatorischen Molekülen. Antioxidantien wie NAC stellen daher eine zusätzliche Behandlungsoption dar, die im Falle einer Influenza-A-Virus-Pandemie in Betracht gezogen werden könnte.«
Es sind die proinflammatorischen Zytokine, die eine entscheidende Rolle im Hinblick auf den Schweregrad von COVID-19 spielen. In schweren Fällen sind die Zytokine wie Interleukin-6 (IL6), Interleukin-10 (IL10) und TNF-ɑ allesamt erhöht sind, wie Forscher bestätigt haben.12 Sobald die Werte in die Höhe schießen, entwickelt sich ein sogenannter Zytokinsturm. Dieser verursacht ganz erhebliche Gewebeschäden. NAC kann diese schädigende Kaskade unter Umständen hemmen.
NAC – mögliches Therapeutikum gegen SARS-CoV-2
Ein in der diesjährigen Oktober-Ausgabe der Zeitschrift Medical Hypotheses veröffentlichter Artikel13 befasst sich insbesondere mit dem potenziellen therapeutischen Nutzen von NAC im Kampf gegen COVID-19. Die Autoren schreiben darin:
»COVID-19 … breitet sich weiterhin auf der ganzen Welt aus. Vorbelastende Faktoren wie Alter, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und eine geschwächte Immunfunktion erhöhen das Risiko einer schweren Erkrankung.«
»T-Zell-Erschöpfung, hohe Viruslast und hohe Konzentrationen von TNF-ɑ, IL1β, IL6, IL10 sind mit schweren Verläufen von SARS-CoV-2 in Verbindung gebracht worden. Die Überflutung mit Zytokinen und Antigenen ist möglicherweise für eine ungenügende humorale Immunantwort auf das Virus verantwortlich.«
»Ein niedriger zellulärer Redoxstatus, der zu proinflammatorischen Zuständen führt, die durch TNF-ɑ verursacht werden, ist möglicherweise ebenfalls beteiligt. Wie klinische In-vivo-, In-vitro- und Humanstudien gezeigt haben, ist N-Acetylcystein (NAC) eine wirksame Methode zur Verbesserung des Redoxstatus‘, vor allem bei oxidativem Stress.«
»In klinischen Studien am Menschen wurde NAC verwendet, um die Glutathionspeicher aufzufüllen und die proliferative Reaktion der T-Zellen zu erhöhen. Außerdem hat sich gezeigt, dass NAC in vitro den NLRP3-Entzündungsweg (IL1β und IL18) hemmt und in klinischen Studien am Menschen den TNF-ɑ im Plasma verringert.«
»Die Veränderung der Virusbelalastung könnte durch die Fähigkeit von NAC erfolgen, den zellulären Redox-Status durch Maximierung des ratenbegrenzenden Schritts der Glutathionsynthese zu erhöhen und dadurch möglicherweise die Auswirkungen des viral induzierten oxidativen Stress‘ und des Zelltods zu verringern.«
»Wir stellen die Hypothese auf, dass NAC als möglicher therapeutischer Wirkstoff bei der Behandlung von COVID-19 durch eine Vielzahl von Mechanismen wirken könnte, darunter die Erhöhung des Glutathions, die Verbesserung der T-Zell-Antwort und die Modulation der Entzündung.«
Ein zweiter Bericht,14 der die Evidenz für den Einsatz von NAC bei der Behandlung von COVID-19 untersucht, wurde am 14. April 2020 vom Zentrum für evidenzbasierte Medizin an der Universität Oxford veröffentlicht.
Wie NAC vor COVID-19 schützen kann
Um vollständig zu verstehen, wie NAC vor COVID-19 schützen könnte, ist eine kurze Lektion in Biochemie nützlich. Es folgt eine Zusammenfassung einer Präsentation von Dr. Seheult, die im obigen Video zu sehen ist.
Wenn man einem Sauerstoffmolekül (O) ein Elektron hinzufügt, erhält man Hyperoxid (O2), eine reaktive Sauerstoffspezies (ROS). Fügt man ein weiteres Elektron hinzu (für insgesamt zwei Elektronen), erhält man Wasserstoffperoxid (H2O2). Ein Sauerstoffmolekül mit drei hinzugefügten Elektronen wird zu Hydroxyl (O3), und Sauerstoff mit vier hinzugefügten Elektronen wird zu harmlosem Wasser (H2O).
Hyperoxid spielt nicht nur eine entscheidende Rolle beim oxidativen Stress im Zusammenhang mit den Komorbiditäten für COVID-19, wie Fettleibigkeit, Herzkrankheiten und Diabetes, sondern hyperoxidgesteuerter oxidativer Stress steht auch im Zentrum einer schweren COVID-19-Infektion. Allerdings verfügt der Körper über eingebaute Abwehrmechanismen gegen oxidativen Stress. Dazu gehören:
- Hyperoxid-Dismutase (SOD), die schädliches Hyperoxid in Wasserstoffperoxid umwandelt,15
- Katalase, die Wasserstoffperoxid in Sauerstoff und Wasser umwandelt,
- Glutathionperoxidase (GSHPX), die zwei Dinge gleichzeitig tut: Während sie Wasserstoffperoxid zu Wasser reduziert, wandelt sie gleichzeitig die reduzierte Form des Glutathions (GSH) in Glutathiondisulfid (GSSG), die oxidierte Form des Glutathions, um.
Mit anderen Worten: Wenn GSHPX Wasserstoffperoxid in unschädliches Wasser umwandelt, wird Glutathion oxidiert. Das oxidierte GSSG wird dann durch NADPH (die reduzierte Form von NADP+) »neu aufgeladen« oder regeneriert, wodurch es wieder in GSH (die reduzierte Form von Glutathion) umgewandelt wird. NADPH wird auch durch ein Enzym namens GSH-Reduktase in NADP+ umgewandelt.
Wie Dr. Seheult anmerkte, löst eine schwere COVID-19-Infektion einen perfekten Sturm von hyperoxid-getriebenem oxidativem Stress aus, da SARS-CoV-2 sich an den ACE2-Rezeptor anlagert und Angiotensin 2 (AT-2), das Superoxid aktiviert. Gleichzeitig kommt es zu einem Mangel an AT-1,7, das Hyperoxid hemmt. Dieser Mangel erlaubt es dem Hyperoxid, sich weiter anzusammeln.
SARS-CoV-2 zieht auch polymorph-nukleare Leukozyten (PMNs) an, eine Art weiße Blutkörperchen, die bei ihren Bemühungen, Krankheitserreger zu zerstören, ebenfalls Hyperoxid produzieren. All dieses Hyperoxid wird dann in andere ROS umgewandelt, die Endothelzellen zerstören.
Diese Abwärtsspirale kann durch NAC gehemmt werden, da sie die GSSG verstärkt. Wie in der Grafik von Dr. Seheult unten dargestellt, erhält man, wenn man zwei GSH-Moleküle und Wasserstoffperoxid zusammenfügt, oxidiertes Glutathion und harmloses Wasser, wodurch der oxidative Stress gemildert wird.
NAC reduziert Schäden an der Lunge
Wie frühere Studien auch herausgefunden haben, trägt NAC zur Besserung einer Vielzahl von lungenbezogenen Problemen bei, darunter Lungenentzündung und akutes Atemnotsyndrom (ARDS),16 die beide Merkmale von COVID-19 sind. Wie sich auch gezeigt hat, beschleunigt es die Genesung, verkürzt die Verweildauer auf der Intensivstation und verringert bei Personen mit Atembeschwerden die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung. Zu solchen Studien gehören:
- Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2017,17 die bei von ARDS-Patienten (Acute Respiratory Distress Syndrome, dt. Akutes Atemnotsyndrom), die mit NAC behandelt wurden, eine signifikante Verringerung der Aufenthalte auf der Intensivstation ergab, obwohl es keinen signifikanten Unterschied im kurzfristigen Mortalitätsrisiko gab.
- Eine Studie aus dem Jahr 2007,18 die zu dem Schluss kam, dass NAC das ARDS durch »Erhöhung der intrazellulären Glutathion- und extrazellulären Thiol-Moleküle« zusammen mit allgemeinen antioxidativen Effekten verbessert.
- Eine 2018 veröffentlichte Studie19, die ergab, dass NAC oxidative und entzündliche Schäden bei Patienten mit ambulant erworbener Lungenentzündung reduziert.
- Eine weitere 2018 veröffentlichte Studie20, die feststellte, dass NAC die postoperative Lungenfunktion bei Patienten verbessert, die sich einer Lebertransplantation unterziehen.
- Eine 1994 durchgeführte Studie21, die zeigte, dass NAC die Erholung nach einem akuten Lungenschaden fördert, die Bewertungsziffer für Lungenschäden der Patienten während der ersten 10 Tage der Behandlung signifikant zurückgehen lässt und die Notwendigkeit einer Beatmung deutlich verringert. Nach 3 Behandlungstagen benötigten nur 17 Prozent der Patienten, denen NAC verabreicht wurde, eine Beatmung – verglichen mit 48 Prozent in der Placebogruppe.
NAC schützt auch vor Blutgerinnseln
In diesem MedCram-Video gibt Dr. Seheult einen Überblick über die anomalen Aspekte der Blutgerinnung bei COVID-19. Interessanterweise nimmt NAC auch dieses Problem in Angriff, denn mehrere Studien22,23,24,25 haben bestätigt, dass es der Hyperkoagulation entgegenwirkt und das Risiko von Blutgerinnseln und Schlaganfällen verringert.
Wie in einer dieser Studien26 festgestellt wurde, »hat NAC gerinnungs- und plättchenhemmende Eigenschaften«. Es hat auch eine starke thrombolytische Wirkung, das heißt, es löst bereits gebildete Blutgerinnsel auf.27 Einer anderen Studie28 zufolge kann NAC zum Teil vor Schlaganfall schützen, indem es das GSH erhöht und den Antioxidantienspiegel verbessert.
»NAC, das Glutathion wieder auflädt, senkt nicht nur Hyperoxid (oxidativen Stress), sondern scheint auch Von-Willebrand-Faktoren zu reduzieren, die Blutgerinnsel bilden.«
Seheults Hypothese, warum NAC bei der Behandlung von COVID-19 nützlich sein könnte, lässt sich wie folgt zusammenfassen: SARS-CoV-2 heftet sich an den ACE2-Rezeptor und reduziert ihn, wodurch AT-2 zunimmt und AT-1,7 abnimmt. Dies wiederum verstärkt schädliches Hyperoxid, das oxidativen Stress und eine Dysfunktion der Endothelzellen verursacht.
Interessanterweise scheint der Wirkmechanismus von NAC Blutungsstörungen nicht zu verstärken, wie es Heparin oder Cumadin tun würden. Daher bietet es eine sicherere Alternative zu diesen Mitteln. Dies legt nahe, dass das »H« von Heparin im MATH+-Protokoll einfach durch NAC ersetzt werden könnte.
Je mehr wir über COVID-19 erfahren, desto mehr stellen wir fest, dass es einfache und kostengünstige Möglichkeiten zur Behandlung dieser verwirrenden Krankheit geben könnte. Vor allem NAC scheint ein guter Kandidat für eine Überprüfung zu sein. Ein zusätzlicher Segen ist das ausgezeichnete Sicherheitsprofil von NAC. Wie Dr. Seheult anmerkte, haben viele Studien gezeigt, dass es bei seiner Anwendung keine ernsthaften unerwünschten Nebenwirkungen gibt.
Dieser Artikel erschien erstmals am 03. September 2020 auf Mercola.com.