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Ist eine Grippeimpfung wirklich vorteilhaft?
Offizielle Stellen werden nicht müde, besonders jetzt – in Zeiten der Coronavirus-Pandemie – eine Grippeimpfung zu empfehlen. Auch noch spät im neuen Jahr, so die Experten, macht die Immunisierung gegen Influenzaviren Sinn. Denn kämen zwei gefährliche Infektionen, die Influenza-Grippe und die von Coronaviren verursachte Lungenerkrankung COVID-19 zusammen, könnte dies für die Betroffenen eine sehr schwere, häufig sogar lebensgefährliche Erkrankung bedeuten.
Und gerade dieses Zusammentreffen sollte verhindert werden, wenn mit der Grippeimpfung einer der beiden Risikofaktoren ausgeschlossen wird. Doch ist das wirklich so? Kann die Grippeimpfung tatsächlich Schlimmeres verhindern? Eine neue Studie scheint auf das Gegenteil hinzuweisen.
Das Risiko zu erkranken nimmt zu
Eine in der renommierten Fachzeitschrift Vaccine veröffentlichte Studie1 zur Wirksamkeit von Grippeimpfstoffen kam zu dem Ergebnis, dass die Grippeimpfung zwar gegen Influenzaviren wirkt, gleichzeitig aber auch das Risiko einer Infektion mit anderen Viren erhöhen kann. Die Fachzeitschrift Vaccine gehört mit zu den angesehensten medizinischen Publikationen. Alle Studien werden vor einer Veröffentlichung von unabhängigen Wissenschaftlern daraufhin überprüft, ob sie nach anerkannten Kriterien erstellt und die Ergebnisse richtig ausgewertet wurden.
Diese Studie kam nun zu dem Ergebnis, dass die Grippeimpfung gegen Influenzaviren mit dem möglichen Schutz vor einer Grippe gleichzeitig das Risiko einer Infektion mit Coronaviren um ganze 36 Prozent erhöht. Dabei handelt es sich um kein einmaliges, neues Phänomen, sondern um eine durchaus bekannte, bei Impfungen vorkommende Wechselwirkung – die sogenannte Virusinterferenz.2,3
Verschiedene Viren können sich gegenseitig hemmen oder fördern
Unter Virusinterferenz verstehen Wissenschaftler das bei Impfungen möglicherweise auftretende Phänomen, bei dem es zu Wechselwirkungen zwischen zwei Virusarten im gleichen Wirt kommt. Für die Grippeimpfung bedeutet das: Der Influenzaimpfstoff besteht aus inaktivierten Grippeviren, die vom menschlichen Immunsystem zwar als Krankheitserreger erkannt werden, aber keine Influenza mehr auslösen können. Dennoch sind es Viren, die auf andere, gleichzeitig im Organismus des Wirts vorhandene Viren einwirken. So können sie zum Beispiel deren Vermehrung unterdrücken oder anregen.
Und genau das scheint der Fall zu sein, wie in der Studie festgestellt wurde. Die Influenzaviren regen offenbar die Aktivität von Coronaviren und von Metapneumoviren an. Metapneumoviren sind die Ursache von häufigen Atemwegserkrankungen bei Kindern und Kleinkindern. Die Gefährlichkeit dieser Viren ist überschaubar, da die meisten Kinder bis zum Alter von 5 Jahren Antikörper dagegen entwickelt haben und von da an immun dagegen sind.
Anders ist es mit den Coronaviren: Wird das Risiko erhöht, dass es zu einer Infektion kommt, wird damit exakt das Gegenteil von dem erreicht, was man mit der Grippeimpfung eigentlich beabsichtigt. Anstatt die Schwere einer Atemwegserkrankung zu reduzieren, wird diese womöglich noch deutlich verschlimmert.
Experten wissen: Grippeimpfungen können problematisch sein
Unter Wissenschaftlern ist bekannt, dass Grippeimpfungen zum Problem werden können. Zum einen, weil die Zusammensetzung falsch sein kann, gegen welche Arten von Grippeviren sie wirken. Diese Zusammensetzung wird jedes Jahr neu von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestimmt und richtet sich – je nach Impfstoff – gegen drei oder vier verschiedene Influenzaviren. In der Regel wird das ein Jahr vor dem Beginn der Grippesaison im Winter gemacht.
Deshalb kann es passieren, dass Viren, deren Auftreten in der kommenden Saison ursprünglich am wahrscheinlichsten erschien, plötzlich durch neue oder veränderte abgelöst werden. Die Wirkung des Impfstoffs geht dann teilweise ins Leere.
So war es zum Beispiel bei der Grippesaison 2017/18. Die Impfeffektivität gegen die während dieser Grippesaison überwiegend auftretenden Influenza-B-Viren lag nach dem »Bericht zur Epidemiologie der Influenza in Deutschland« des Robert Koch Instituts4 lediglich bei 39 Prozent. Das heißt: Gut 60 Prozent der Geimpften entwickelten keinen Schutz vor Influenza-B-Viren.
Noch schlimmer ist es, wenn die gegen Grippe Geimpften aufgrund einer falschen Impfstoffzusammensetzung keinen Schutz vor Influenza, sondern im Gegenteil sogar eine erhöhte Anfälligkeit entwickeln. So wie es in der Grippesaison 2014/2015 der Fall war. Mit dem damals ebenfalls falsch zusammengesetzten Impfstoff Geimpfte hatten gegenüber den Ungeimpften ein um fast 10 Prozent erhöhtes Risiko, an einer Influenza-Grippe und deren lebensgefährlichen Folgen zu erkranken, wie kanadische Wissenschaftler in einer Untersuchung5 feststellten.
Wahrscheinlich war auch damals eine Virusinterferenz die Ursache dafür. Ein im Impfstoff enthaltener Wirkstoff gegen das eine Influenzavirus erhöhte das Risiko, an einem anderen Influenzavirus zu erkranken, der sich gerade auf der Nordhalbkugel der Erde ausbreitete.
Ähnlich war es 2009/2010 mit der Schweinegrippe, verursacht durch den Virus H1N1. Der saisonale Grippeimpfstoff verdoppelte das Risiko, sich mit der Schweinegrippe zu infizieren.6 Auch hier kam es vermutlich zu einer Virusinterferenz, wie sie nach der eingangs erwähnten Studie zur Grippeimpfung und dem Coronavirus vorliegt.
Vor einer Impfung Vorteile und Risiken abwägen
Aufgrund dieses Zusammenhangs muss jetzt nicht grundsätzlich von einer Grippeimpfung abgesehen werden. Aber es sollte auch nicht unüberlegt darauf losgeimpft werden. Vielmehr sollte stets zusammen mit einem erfahrenen Arzt abgewogen werden, ob die Impfung wirklich von Vorteil ist. Wobei dann auch die persönlichen Lebensumstände eine Rolle spielen müssen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Superinfektion durch zwei verschiedene Arten von Viren zu erkranken? Was wären damit für Risiken verbunden – für einen selbst und die Umwelt?
Bei dieser Überlegung sollte auch das Ergebnis einer in der angesehenen Medizinzeitschrift JAMA veröffentlichten Untersuchung7 eine Rolle spielen. Wissenschaftler der pharma-epidemiologischen Abteilung am Erasmus Medical Center der Universität Rotterdam analysierten an 26.071 teilnehmenden Personen im Alter von 65 Jahren an aufwärts, was den Geimpften eine Impfung gegen Influenzaviren brachte. Dabei stellten sie fest, dass die Impfung pro 302 geimpften Personen einen Influenza-Todesfall verhindern konnte. Dem aber steht nun ein um 36 Prozent erhöhtes Coronaviren-Infektionsrisiko gegenüber …