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Was ist der Blinddarm?
Der Blinddarm, sein Fachbegriff lautet Caecum oder Coecum, ist der Anfangsteil des Dickdarms, der am Ende des Dünndarms nach unten in die Bauchhöhle verläuft. Auch Säugetiere und Vögel verfügen über einen Blinddarm. Besonders bei pflanzenfressenden Säugetieren kann dieser sehr lang sein und einige Liter Fassungsvermögen aufweisen, um nicht spaltbare Nährstoffverbindungen mit Hilfe von nährstoffspaltenden Mikroorganismen in verwertbare Nährstoffe umzuwandeln.
Beim Menschen befindet sich der Blinddarm im rechten Unterbauch, wobei der sogenannte »Wurmfortsatz« (Appendix vermiformis), welcher der wahre Verantwortliche für die Blinddarmentzündung ist, eine variable Position einnimmt und sich vor, neben oder hinter dem Blinddarm befinden kann.
Der Wurmfortsatz
Wenn von einer Blinddarmentzündung gesprochen wird, ist eigentlich nicht der Blinddarm selbst, sondern der Wurmfortsatz entzündet. Das wurmförmige Anhangsgebilde des Blinddarms beherbergt lymphatisches Gewebe mit Lymphfollikeln, welche Abwehrzellen bilden und ausbilden.
Der Wurmfortsatz gehört zum lymphatischen System und ist somit eine Komponente des Immunsystems. In frühester Kindheit besteht die Hauptaufgabe des Wurmfortsatzes, auch nach derzeitigem Stand der Evolution, in der Immunabwehr. Bei einer OP zur Entnahme des Blinddarms ist es genaugenommen »nur« der Wurmfortsatz, der entfernt wird.
Ein überflüssiges Organ?
Es war Charles Darwin, der im Jahr 1859 sein Werk Die Entstehung der Arten veröffentlichte und darin erklärte, wie sich verschiedene Spezies im Laufe der Jahrmillionen durch Anpassung und natürliche Selektion weiterentwickelt haben. Als Teil dieser Anpassung erklärte er auch, dass einige Organe ihre Funktion langsam verloren haben und sie lediglich als Rudimente aus einer vergangenen Zeit bestehen. Darwins Lieblingsbeispiel für ein solches Organ war der Blinddarm.
Über 30 Jahre später stellte zudem der deutsche Anatom Robert Wiedersheim eine Liste von sage und schreibe 86 Organen auf, die angeblich im Laufe der Evolution nutzlos wurden. Auf Platz 74 der Liste: der Blinddarm.1 Auch das Steißbein und die Milz stehen auf dieser Liste.
Auch in dem Werk Meyers Großes Konversationslexikon aus dem Jahr 1909, einem damals führenden deutschen Nachschlagewerk, wird der Blinddarm zu den »Körperteilen, die ihres verkümmerten Zustandes wegen fast oder vollkommen leistungsunfähig sind«, deklariert.
Der heutige Stand der Forschung sieht das anders.
Zwar ist es richtig, dass die angeblich rudimentären Organe ihre einstige, durch die Wissenschaft anerkannte Hauptfunktion verloren haben, doch diese Organe haben sicherlich noch andere Funktionen, die lange Zeit übersehen wurden oder immer noch übersehen werden. So auch der Blinddarm.
Der Blinddarm ist ein Bestandteil des Immunsystems
Der Blinddarm ist mit reichlich Lymphgewebe ausgestattet, daher spielt er eine Rolle bei der Vermittlung von Immunitätsvorgängen gegenüber aufgenommenen Antigenen. Er beherbergt Zellen des Lymphsystems, welche die Abwehr gegen Krankheiten darstellen. Unser gesamter Darm stellt ein Immunsystem dar und es ist schwer zu glauben, dass ein Teil dieses Systems, welches im Laufe der Evolution nicht verschwunden ist, keinerlei Nutzen hat.
Der Wurmfortsatz als »Saferoom« für wichtige Bakterien der Darmflora
Schon seit einigen Jahren herrscht unter Forschern die Annahme, dass sich im Wurmfortsatz probiotische Darmbakterien befinden, die zur Neubesiedlung dienen.2 Wurde die Darmflora angegriffen und deren Bakterien zerstört, beispielsweise durch Antibiotika oder Darminfektionen, erhält der Darm neue probiotische Bakterien aus dem Wurmfortsatz.
Man kann sich den Wurmfortsatz also wie eine Art »Saferoom« vorstellen, in der unser Körper eine Ersatzbank mit probiotischen Bakterien beherbergt. Diese sind nur ein Starterkit, doch sie vermehren sich im Darm schnell wieder und arbeiten fleißig daran, die Darmflora wieder aufzubauen.
Mit dieser Information, und dem Wissen über die Wichtigkeit einer gesunden Darmflora, kann man den Wurmfortsatz schlichtweg nicht mehr als nutzlos abstempeln. Dass sich sämtliche Krankheiten auf die Ursache einer gestörten Darmflora zurückführen lassen, ist schon lange bewiesen.
Der Darm wird zudem als unser zweites Gehirn bezeichnet und ist ein wesentlicher Bestandteil des Immunsystems. Was darin passiert, was fehlt oder überflüssig ist, fällt definitiv ins Gewicht, was unsere Gesundheit betrifft! Nicht nur wie gesund wir sind und wie wir aussehen hängt zu einem großen Teil von unserer Darmgesundheit ab, auch unsere Stimmung wird ganz wesentlich dadurch beeinflusst. Es kann sich also jeder glücklich schätzen, der seinen Wurmfortsatz noch als Backup hat.
Was passiert, wenn der Wurmfortsatz entfernt wurde?
Nun fragen Sie sich vielleicht, wie man dann ohne Blinddarm beziehungsweise Wurmfortsatz so gut leben kann, wie es Millionen Menschen tun. Nun, es handelt sich um eine Art »Backup-Organ«, dessen Aufgaben auch von anderen Organen übernommen werden können. Wir können also gut ohne Blinddarm leben, jedoch müssen andere Organe einspringen und womöglich mehr Arbeit leisten. Daher sollte man sich den Wurmfortsatz nur dann operativ entfernen lassen, wenn eine Entzündung vorliegt, die nicht konservativ behandelt werden konnte. Jeder hat doch gerne ein Backup, oder nicht?
Die Blinddarmentzündung (Appendizitis)
Eine Blinddarmentzündung entsteht meist durch eine Verstopfung zwischen Wurmfortsatz und Blinddarm. Der Wurmfortsatz kann sich nicht mehr in den Blinddarm entleeren und wird zur Brutstätte für unerwünschte Bakterien. Diese Verstopfungen entstehen oft durch Kotsteine, in seltenen Fällen auch durch Nahrungsmittelreste wie Kerne, durch Schwellungen oder eine abgeknickte Lage sowie durch Darmwürmer, Infektionen oder entzündliche Darmerkrankungen. Ist tatsächlich der Blinddarm selbst entzündet, spricht man von einer Typhlitis. Diese kann als Folge einer unbehandelten Appendizitis auftreten. Die Typhlitis allein wird gelegentlich nach bestimmten Formen der Chemotherapie beobachtet, kommt aber im Gesamten eher selten vor.
Meist bekommt der Körper die Blinddarmentzündung von selbst in den Griff, wenn man ihn mit absoluter Schonkost in wenigen, kleinen Portionen unterstützt. Handelt es sich jedoch um eine schwere Entzündung, besteht die Gefahr, dass der mit Eiter und Bakterien gefüllte Wurmfortsatz platzt. Dessen Inhalt ist für die Bauchhöhle toxisch, führt zu weiteren Entzündungen und dies kann tödlich enden. Daher wird bei schweren Entzündungen eine Antibiotikatherapie verordnet. Hilft diese nicht, gibt es nur noch einen Ausweg: die chirurgische Entfernung des Wurmfortsatzes.
Die Annahme, dass der Blinddarm keine Funktion hat und die Tatsache, dass dessen Entzündung zum Tod führen kann, ist der Grund, warum die Ärzte früher schon vorsorglich ihr Skalpell schwangen. Befindet man sich in einer Situation, in der man keinen Zugriff auf eine gute medizinische Versorgung hat, kann eine Blinddarmentzündung einem das Leben kosten.
Doch mit unseren medizinischen Standards und nach dem Wissen über die Backup-Funktion des Blinddarms sollten wir davon absehen, den Blinddarm allzu schnell oder gar vorsorglich entfernen zu lassen. Bei Verdacht auf eine Blinddarmentzündung sollte man sich umgehend in medizinische Betreuung begeben. Innerhalb dieser Betreuung wird man auf Schonkost gesetzt. Hilft das nicht, kommt eine Therapie mit Antibiotika hinzu. Die Antibiotikatherapie ist zwar auch nicht das Gelbe vom Ei, und es sollte anschließend eine Darmsanierung durchgeführt werden, doch allemal besser, als seinen Wurmfortsatz zu verlieren.
Die Symptome einer Blinddarmentzündung
Meist wird die Blinddarmentzündung erst bei Schmerzen im rechten Unterbauch vermutet, jedoch zeigen sich die krampfartigen Schmerzen anfangs auch gerne mal woanders im Bauch, beispielsweise in der Magengegend. Häufig kommen auch Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung oder Durchfall hinzu. Spätestens wenn Fieber auftritt, sollten Sie sich in ärztliche Behandlung begeben. Lassen Sie sich bitte nicht allzu schnell mit der Diagnose Darminfektion abspeisen und fordern Sie die Abklärung über eine mögliche Blinddarmreizung oder -entzündung ein.