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Eine schlagkräftige Immunabwehr ist in der Lage, sogar die tödlichsten Krankheiten zu besiegen oder sie gar nicht erst ausbrechen zu lassen.
Brigitte Hamann
»Immunis« – frei von Krankheit
Viele Loblieder wurden schon auf unser Immunsystem gesungen – und das zu Recht. Denn ohne diese durchsetzungsstarke und schlagkräftige Instanz in unserem Körper würden wir nicht lange leben. Nicht nur Mensch und Tier, selbst einfache Organismen haben eine Form von Immunabwehr. Das Immunsystem entstand schon sehr früh in der Entwicklungsgeschichte der Lebewesen und ist in seinem grundsätzlichen Aufbau gleich geblieben. Eine besondere und zusätzliche Form haben nur Wirbeltiere und damit auch der Mensch entwickelt: die adaptive Immunabwehr, die auch als erworbene und spezifische Abwehr bezeichnet wird.
Meist bemerken wir es nicht, aber wir sind Tag und Nacht mit Bakterien, Viren, Parasiten und Pilzen in Kontakt, die uns schaden könnten. Sie sind überall, in der Atemluft, in der Nahrung und auf jedem Gegenstand, den wir berühren. Sie bevölkern unsere Haut und sind in unserem Inneren.
Die Arbeit der Immunabwehr geht aber weit über den reinen Schutz vor Infektionen hinaus. Große und kleine Verletzungen müssen geheilt, Gift- und Schadstoffe entfernt, abgestorbenes Gewebe und veränderte Zellen, die während der normalen Stoffwechselprozesse entstehen, entsorgt werden. Auch entartete Zellen, die zum Beispiel aufgrund von Fehlern während der Zellteilung entstehen, sind täglich dabei.
Das Immunsystem muss dabei genau zwischen Körpereigenem und Fremdem unterscheiden, damit es in der Lage ist, das Gesunde zu schützen und das Krankmachende zu beseitigen.
Das Wort »Immunsystem« leitet sich vom lateinischen Wort immunis ab. Es bedeutet »frei«, »unberührt«, »rein« und auch »verschontvon« – besser hätte man diese wunderbare Kraft in uns nicht benennen können. Solange sie ihre Aufgaben erfüllen kann, sind wir frei von körperlichen Übeln. Weil Körper, Seele und Geist untrennbar verbunden sind, sorgt das Immunsystem auch für unser Glückund unsere Fähigkeit, aktiv denkende und bewusste Wesen zu sein.
Ein starkes Immunsystem hält frei von Krankheit
Ob wir krank werden oder nicht, nachdem wir uns infiziert haben, hängt vom Zustand unseres Immunsystems ab. Wenn in der Winterzeit die Menschen um uns herum husten, schnupfen und niesen oder eine Magen-Darm-Grippe »herumgeht«, werden wir vielleicht ebenfalls krank – vielleicht aber auch nicht. Die Reaktionsfähigkeit unseres Immunsystems wird auch von seelischen Faktoren beeinflusst.
Eine schlagkräftige Immunabwehr ist in der Lage, sogar die tödlichsten Krankheiten zu besiegen oder sie gar nicht erst ausbrechen zu lassen. Erinnern wir uns daran, dass es auch in Zeiten schlimmster Epidemien und Pandemien Menschen gab, die gesund blieben, und viele, die trotz einer Infektion überlebten. Sie waren weder geimpft noch gab es pharmazeutisch hergestellte Antibiotika oder andere moderne Medikamente. Impfungen kamen erst viel später auf, und an Medizin hatte man nur das zur Verfügung, was in der Volksheilkunde bekannt war. Die natürlichen Heilmittel aus jener Zeit waren allerdings oft erstaunlich effektiv und werden heute aus gutem Grund wiederentdeckt.
Ein System der Superlative
Wer das Bedürfnis hat, einmal wirklich von Ehrfurcht überwältigt zu werden, braucht nur in das Wunderwerk des menschlichen Körpers zu blicken. Selbst ein vager Eindruck von der komplexen Vielfalt und dem subtilen Zusammenspiel zahlloser Faktoren lässt uns verändert zurück. Das Immunsystem ist eine besondere Intelligenz innerhalb dieser hochintelligent kooperierenden, ausbalancierenden und schöpferischen Welt. Denn es kann etwas, das höchste Anforderungen an die Fähigkeit, zu unterscheiden und zu beurteilen, stellt: Es findet heraus, was körpereigen und was fremd ist, und weiß, was es bekämpfen und was es tolerieren und schützen muss.
Das mag sich einfach anhören, ist es jedoch nicht. Allein die wachsende Zahl an Autoimmunerkrankungen und Allergien, bei denen die Immunabwehr falsch reagiert, zeigt das. Darüber hinaus haben sich auch Mikroben etwas einfallen lassen, um das Immunsystem zu überlisten. Viele tarnen sich mehr oder minder geschickt oder verstecken sich in unzugänglichen Bereichen des Körpers. Dann kann die Immunabwehr nur vor den Toren stehen und warten, ob sich ein »schlafendes« Virus blicken lasst. Schlagkräftigkeit und korrekte Unterscheidungsfähigkeit sind die beiden Komponenten, die ein gut funktionierendes Immunsystem ausmachen.
Wer überleben und dann auch noch möglichst gut leben will, muss bereit sein, unaufhörlich zu lernen und sich optimal an wechselnde Bedingungen anzupassen. Das Immunsystem ist darin Weltmeister. Es ist ein flexibles und äußerst komplexes System, das über eine hoch entwickelte Lern- und Adaptionsbereitschaft verfügt. Die auf faszinierende Weise ineinandergreifenden Abwehrmechanismen basieren auf der Kommunikation unterschiedlichster Zellen im ganzen Körper, von Darm bis Hirn. Thymus, Milz, Lymphknoten, Knochenmark und die weißen Blutzellen (früher: Blutkörperchen) sowie eine Fülle weiterer Faktoren arbeiten zusammen und erfüllen spezielle und übergeordnete Aufgaben im Dienst des Lebenserhalts.
Äußere Abwehrmechanismen bilden eine erste Barriere gegen Eindringlinge. Dazu gehören die Haut und der Talg, den sie produziert, der Schleim auf den Schleimhäuten, die Scheidenflüssigkeit, der Urin, der den Harnleiter von Keimen reinigt, der Magensaft, die Tränenflüssigkeit in den Augen, der Speichel sowie der Talg in den Ohren.
Innere Abwehrmechanismen bekämpfen Erreger, denen es gelungen ist, diese Barrieren zu überwinden. Dazu haben sie ein komplexes Repertoire an Reaktionen zur Verfügung, die ineinandergreifen: Fresszellen (Phagozyten), Leukozyten, natürliche Killerzellen und immunstimulierende Substanzen wie Interferon.
Zwei ineinandergreifende Abwehrsysteme sorgen dafür, dass Höchstleistung möglich ist: die angeborene, unspezifische Immunabwehr und die erworbene, spezifische Immunabwehr. Die Angeborene ist relativ einfach aufgebaut, schnell und breit angelegt, die Erworbene hoch spezialisiert, komplex und lernfähig und wird deshalb oft auch als adaptive Immunabwehr bezeichnet. Die eine bleibt, wie sie ist, und profitiert davon, dass sie das, was sie kann, zahllose Male in der gleichen Form geübt hat. Die andere lernt immer wieder neu und braucht daher mehr Zeit, um ihre Maßnahmen zusammenzustellen.
Sowohl die angeborene als auch die erworbene Immunabwehr verfügen über ein zelluläres und ein humorales Abwehrsystem. Das bedeutet, dass beide die Abwehrsystemerreger sowohl mithilfe von speziellen Zellen bekämpfen können, wie über Plasmaproteine, die passiv in den Körperflüssigkeiten (Blut, Lymphe, Gewebsflüssigkeiten) zirkulieren. Sie können nicht aktiv an den Ort des Geschehens wandern, sondern werden dorthin transportiert.
Zum zellulären Immunsystem gehören spezialisierte Immunzellen wie Granulozyten, Makrophagen (Fresszellen), dendritische Zellen, natürliche Killerzellen, B-Lymphozyten und T-Lymphozyten, die sich in T-Helferzellen, regulatorische T-Zellen und zytotoxische T-Zellen unterteilen.
Das humorale Immunsystem, das über die Körperflüssigkeiten aktiv wird, nicht über die Zellen, umfasst Antikörper (Immunglobuline), das Komplementsystem (trägt zur Eliminierung von Antigenen wie Bakterien bei) und Interleukine (Botenstoffe der Zellen, welche die Kommunikation zwischen Leukozyten und anderen Abwehrzellen vermitteln).
Die angeborene Immunabwehr – an Schnelligkeit nicht zu übertreffen
Dieser Teil der Immunabwehr ist seit der Geburt in seiner endgültigen Form vorhanden und wird deshalb als angeboren bezeichnet. Die angeborene Immunabwehr ist nicht in der Lage, spezifische Eigenarten von Erregern zu erkennen, sich darauf einzustellen und ihre Erkennungsmerkmale in einem Gedächtnisspeicher abzulegen wie ihre später hinzugekommene Schwester, die erworbene Immunabwehr. Die beiden Teile des Immunsystems werden daher auch als unspezifische (nicht auf Erregermerkmale ausgerichtete) und als spezifische (spezialisierte) Immunabwehr bezeichnet.
Weil kein Immungedächtnis vorhanden ist, reagiert die angeborene Immunabwehr auch auf einen bereits bekannten Krankheitserreger, auf Gifte oder Schadstoffe jedes Mal so, als wäre sie noch nie mit ihnen in Berührung gekommen. Ein Spielraum für Anpassung besteht nur bei der Erregerzahl, das heißt, sie kann kleinere und größere Mengen davon bekämpfen. Daher bildet die angeborene Immunabwehr keine Immunität für künftige Angriffe aus. Ihre Stärke liegt in ihrer unglaublichen Schnelligkeit. Noch bevor die spezifische Abwehr in Aktion tritt, sind ihre Fresszellen (Makrophagen) und weitere Killerzellen schon am Ort des Geschehens.
Einige dieser Killerzellen sind auf Viren und Tumorzellen spezialisiert, für die sie einen eigenen Zerstörungsmechanismus ausgebildet haben. Man geht davon aus, dass rund 90 Prozent der Infektionen und körperinternen Schädigungen von der angeborenen Abwehr erkannt und vernichtet werden können. Dazu stehen ihr drei Hauptarten von Killerzellen zur Verfügung: die neutrophilen Granulozyten, Makrophagen und die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen). Außerdem produzieren die Zellen der angeborenen Immunabwehr Botenstoffe, die den Körper in einen Alarmzustand versetzen und weitere Immunreaktionen wie Fieber hervorrufen.
Die erworbene Immunabwehr – ein hoch spezialisiertes Memory-System
Die erworbene Immunabwehr entwickelt sich erst im Laufe des Lebens durch den Kontakt mit Erregern. Dieser Teil des Immunsystems ist unablässig dabei, zu lernen und sich an einen neuen Angreifer anzupassen. Deshalb wird er auch als adaptive oder spezifische Immunabwehr bezeichnet. Die beeindruckende Flexibilität macht es der adaptiven Immunabwehr möglich, sich sowohl an unterschiedliche Erregermengen als auch an ihre spezifischen Eigenarten, die sogenannten Antigene, anzupassen.
Dieses Lernen beginnt beim ersten Kontakt. Es bilden sich spezielle Abwehrmechanismen, die gezielt gegen den Erreger gerichtet sind. Antikörper sind ein wichtiger Teil dieser Abwehrstrategien. Das neu erworbene Wissen wird in Gedächtniszellen gespeichert, um eine bessere und schnellere Immunreaktion bei einer erneuten Infektion sicherzustellen. Jeder weitere Kontakt verstärkt die einmal gebildete Immunantwort. Dieses sportliche Wettrüsten Immunsystem gegen Erreger ist ein Training, bei dem die Abwehrkräfte ihre Muskeln spielen lassen und immer effektiver werden.
Leukozyten – die Vielkönner des Immunsystems
Weiße Blutzellen werden in der medizinischen Fachsprache Leukozyten genannt. Statt von weißen Blutkörperchen, die den meisten Lesern noch geläufig sein dürften, wird heute meist von weißen Blutzellen gesprochen, da sie Zellen und keine Partikel sind. Es gibt unterschiedliche Arten, von denen jede einzelne spezielle Aufgaben erfüllt. Sie sind im Blut, im Knochenmark und im Lymphsystem enthalten. Im Gegensatz zu den roten Blutzellen (Erythrozyten) haben sie keinen roten Blutfarbstoff (Hämoglobin) und erscheinen deshalb unter dem Mikroskop weiß. Während die roten Blutzellen die wichtigen Aufgaben des Sauerstoff- oder Nährstofftransports erfüllen, kümmern sich die weißen Blutzellen um unsere Widerstandskraft und unser Überleben. Dazu arbeiten sie je nach Art für die angeborene oder die erworbene Immunabwehr. Sie suchen den Körper routinemäßig und systematisch nach allem ab, was ihnen verdächtig erscheint, und setzen dann verschiedene Mechanismen in Gang, um sie zu vernichten.
Ohne eine ausreichende Zahl an Leukozyten kann das Immunsystem nicht richtig funktionieren, da die Abwehr sonst zum Erliegen kommt. Umgekehrt kann eine stark überhöhte Zahl weißer Blutzellen lebensgefährlich werden, wie es das Krankheitsbild der Leukämie zeigt.
Leukozyten im Dienst der angeborenen Immunabwehr
Als Soforteingreif-Instanz hat die angeborene Immunabwehr einiges aufzubieten. Bei einer Infektion schickt sie als Erstes die neutrophilen Granulozyten vor. Mit einem Anteil von 50 bis 80 Prozent sind sie die stärkste Fraktion der weißen Blutzellen. Sie können am schnellsten mobilisiert werden und sind sofort am Ort des Geschehens. Dort »fressen« sie Bakterien, Pilze und Gewebetrümmer, ohne sich anzusehen, um welchen Keim es sich im Einzelnen handelt. Bei diesem Kampf gehen sie allerdings selbst zugrunde. Ihre Überreste sehen wir als weis-gelblichen Eiter.
Die Monozyten machen zwar nur etwa 3–7 Prozent der weißen Blutzellen aus, spielen aber eine wichtige Rolle: Sie sind die Vorläufer der eigentlichen »Fresszellen«, der Makrophagen. Monozyten werden im Knochenmark gebildet und zirkulieren als Sofortreaktion einige Tage im Blut. Dann wandern sie zum Entzündungsherd oder zu der infizierten Zelle im Gewebe und bilden sich dort in Makrophagen um. Das sind besonders große Fresszellen, die als wichtiger Teil des generellen Aufräumtrupps Gewebeteile, Erreger, abgestorbene rote Blutzellen, Eiter, Immunkomplexe, Tumorzellen, Staubkörnchen und vieles andere in sich aufnehmen, zerlegen und abtransportieren.
Ihr Name erklärt zum einen, dass sie groß sind (griech. makro) und dass »fressen« ihre Aufgabe ist (griech. phage, »fressen«). Dem Wortteil »phage« begegnen wir übrigens nicht nur in der Welt der weißen Blutzellen. Auch unter den Viren gibt es einige, die als Phagen bezeichnet werden: die Bakteriophagen und die Virophagen.
Die Phagozytose: fressen und verdauen
Phagozytose ist der appetitliche Name für einen unappetitlichen, aber höchst segensreichen Vorgang. Er beginnt damit, dass die angeborene Immunabwehr Erreger oder andere als schädlich eingestufte Substanzen im Körper erkennt. Worum es sich dabei im Einzelnen handelt, ist ihr egal. Nun schickt sie die Fresszellen (Phagozyten) vor, um den Fremdstoff einzufangen: Bakterien, Viren, Pilze, schadhafte Zellen, freie Radikale, was immer es ist, wird zuerst mit den Ausläufern der Zellen umschlungen. Dann verleiben sie es sich ein und »verdauen« es mithilfe von Enzymen. Manches davon wird nutzbringend eingebaut, anderes ausgeschieden, und einige Teile wandern zur Außenhülle der Zelle, wo die T-Lymphozyten der erworbenen Immunabwehr ihren Aufbau erkennen und die Mechanismen der spezifischen Immunabwehr in Gang bringen.
Die T-Helferzellen arbeiten je nach Typ entweder für das angeborene oder für das erworbene Immunsystem. Bei der angeborenen Immunabwehr triggern sie die Produktion von NK-Zellen (natürliche Killerzellen). NK-Zellen sind auf Zellen mit einer krebsartig veränderten Oberfläche spezialisiert und erkennen virusinfizierte Zellen ohne das Virus als solches zu erkennen, das heißt, sie können Antigene nicht erkennen. Zum Schutz weisen gesunde Zellen dagegen eine Oberfläche auf, welche die Aktivität der NK-Zellen hemmt.
Lymphozyten im Dienst der erworbenen Immunabwehr
Die Lymphozyten bilden die Kampftruppe der erworbenen Immunabwehr. Unter allen weißen Blutzellen sind sie die kleinsten. Sie nehmen nur einen relativ geringen Anteil im Blut ein, zwischen 25 und 40 Prozent. Bei Kindern ist der Anteil mit über 50 Prozent noch deutlich höher. Rund 95 Prozent der Lymphozyten werden im Knochenmark und in den lymphatischen Organen wie der Thymusdrüse, der Milz, den Lymphknoten, den Mandeln und den Peyerschen Plaques gebildet und dort gespeichert. So gibt es immer einen Vorrat, der bei Bedarf ins Blut abgegeben werden kann. Auch der Wurmfortsatz, ein Anhang des Blinddarms, beteiligt sich an der Produktion. Vom Knochenmark wandern die Lymphozyten in den Thymus. Dort werden sie geschult und auf ihre künftigen Aufgaben als T-Helferzellen, T-Killerzellen, regulatorische T-Zellen oder Gedächtniszellen vorbereitet. Das »T« steht dabei für den Thymus.
Lymphozyten funktionieren nach einem besonderen System: sie bilden Antikörper, sobald sie auf ein Antigen treffen. Eine weitere Besonderheit ist, dass sie ein immunologisches Gedächtnis besitzen, das heißt, sie können Informationen über einmal bekämpfte Erreger für zukünftige Angriffe speichern. Und sie haben noch eine weitere wichtige Aufgabe: die Bildung von Zytokinen.
Zytokine – die Regulierungsbehörde der spezifischen Immunabwehr
Um Bakterien, Viren und andere Gefahren zu bekämpfen, setzen die Lymphozyten Zytokine frei. Das sind Botenstoffe, mit deren Hilfe die Immunzellen miteinander kommunizieren. Auf diese Weise regeln Zytokine die Immunabwehr und lösen je nach Bedarf eine Immunantwort aus oder hemmen sie. Als Steuerungselemente nehmen sie eine zentrale Position innerhalb der Immunabwehr ein. Wenn die entsprechenden Organe nicht in der Lage sind, Zytokine zu produzieren, oder wenn diese fehlerhaft sind, kann es zu schweren Erkrankungen des Immunsystems kommen. In jedem Fall ist die Abwehr vorübergehend oder dauerhaft geschwächt. Die Ursache dafür kann erblich bedingt oder erworben sein. In der Medizin wird dann von einem Immundefekt gesprochen.
Zytokine können Entzündungsreaktionen fördern oder hemmen. Entzündungen sind natürliche Abwehrreaktionen des Körpers auf Erreger, Fremdkörper, Strahlen und schädliche Stoffwechselprodukte wie freie Radikale. Sie unterstützen die Arbeit des Immunsystems, das darüber wieder einen gesunden Zustand herbeiführen will. Sie können jedoch überhandnehmen und das Immunsystem überfordern, oder es können sich chronische Entzündungen entwickeln, die das Immunsystem aus einer Vielzahl von Gründen nicht abbauen kann. Entzündungshemmende Zytokine als Gegenspieler halten im gesunden Organismus das Gleichgewicht aufrecht.
Was T-Zellen für die erworbene Immunabwehr leisten
T-Helferzellen, T-Killerzellen, regulatorische T-Zellen oder Gedächtniszellen sind die Akteure der spezifischen Immunabwehr. Die T-Helferzellen können zwar zwischen körpereigenen und körperfremden Zellen unterscheiden und befallene Zellen erkennen, erzeugen jedoch keine Antikörper. Stattdessen produzieren sie Signalstoffe, mit denen sie weitere Abwehrzellen aktivieren, die T-Killerzellen, die dann die Vernichtung von Erregern, körperfremden Stoffen und defekten oder entarteten Zellen wie Tumorzellen übernehmen. Unter die T-Killerzellen fallen alle Zellen des Immunsystems, die veränderte Körperzellen wie Krebszellen und Zellen, die von Erregern befallen sind, erkennen können. Die T-Gedächtniszellen tun das, was ihr Name besagt: Sie speichern Informationen über einmal erkannte Erreger.
Die regulatorischen T-Zellen haben eine ganz andere Aufgabe: Sie aktivieren das Immunsystem nicht, sondern unterdrücken es, um die Toleranz gegenüber Stoffen zu erhöhen, die als feindlich erkannt werden konnten, es aber nicht sind. Früher wurden sie deshalb T-Suppressor-Zellen genannt. Durch diese regulierende Tätigkeit senken sie das Risiko von Autoimmunerkrankungen, bei denen die Immunabwehr körpereigenes Gewebe angreift, und von Allergien, bei denen harmlose Substanzen wie Pollen, Staub oder Nahrungsmittelbestandteile wie Milcheiweis vom Immunsystem als gefährlich eingestuft werden.
Antigen und Antikörper – Schlüssel und Schloss
Eindringlinge, die das Immunsystem als gefährlich einstuft, werden Antigene genannt. Der Begriff ist eine verkürzte Form der englischen Bezeichnung Antibody generating, was so viel bedeutet wie »Herstellung von Bekämpfungspartikeln« beziehungsweise »Auslöser einer Immunreaktion«. Als Antigene werden eine Vielzahl von Molekülen bezeichnet, die sich zum Beispiel auf der Oberfläche von Bakterien befinden und die Immunabwehr zur Bildung von Antikörpern, das heißt Abwehrstoffen, anregen. Wenn Antigen und Antikörper aufeinandertreffen, kommt ein Prozess in Gang, bei dem das Antigen und auch der Erreger, auf dem es sich befindet, zerstört werden.
Erkannt werden die Antigene von den B-Lymphozyten. Sie sind die einzigen weißen Blutzellen, die Antikörper bilden können. Dabei sind sie immer nur auf ein bestimmtes Antigen spezialisiert. Nur dieses können sie erkennen und binden. Die Antikörper werden passend zu den Strukturen des Erregers gebildet und können ihn erfolgreich zerstören oder zumindest kampfunfähig machen. Dies geschieht, indem sich Antigen und Antikörper zu einer Einheit verbinden, die man Immunkomplex nennt. Durch die Bindung wird der Erreger neutralisiert. Kleinere Mengen an Immunkomplexen entstehen täglich, da wir laufend mit Erregern konfrontiert sind, zum Beispiel wenn bei Verletzungen Bakterien ins Blut gelangen. Immunkomplexe werden auch bei manchen Virusinfektionen wie Hepatitis B und C gebildet.
Immunkomplexe verursachen Entzündungsreaktionen, über die sie abgebaut werden. Die Endprodukte werden zur Leber transportiert und dort abgebaut. Entsteht eine zu große Menge an Immunkomplexen in zu kurzer Zeit oder bilden sich besonders große, stark vernetzte Immunkomplexe, kann das Immunsystem mit dem Abbau überfordert sein, mit Konsequenzen, die unter den Ausführungen zu Autoimmunerkrankungen und Allergien nachgelesen werden können.
Gedächtniszellen speichern Erfahrungen
Die adaptive, erworbene Immunabwehr zeichnet sich durch eine besondere Memory-Funktion aus. Nach dem Kontakt mit einem Antigen speichern die T-Gedächtniszellen die einmal gelernte, passende Immunantwort. Sobald das gleiche Antigen wieder auftaucht, sind sie sofort zur Stelle und ermöglichen eine schnelle, effektivere und genau passende Immunantwort. Sie sorgen also für eine Immunisierung. Voraussetzung ist dabei, dass die Gedächtniszellen das Antigen wiedererkennen können. Hat der Erreger eine Mutation durchlaufen (eine Veränderung des Erbguts) oder sich im Aufbau verändert, zum Beispiel durch die Verbindung zweier Viren zu einem neuen Virus, passt der Schlüssel nicht mehr ins Schloss. Die gebildeten Antikörper sind wirkungslos.
Wunderwerk Immunsystem – warum werden wir trotzdem krank?
Wenn wir uns mit einem Erreger infiziert haben, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass wir krank werden. Ob das geschieht, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Dazu gehört der Zustand, in dem sich das Immunsystem grundsätzlich befindet – ist es stark oder überfordert und schwach? Bedeutsam sind zudem Faktoren wie die der Erregermenge und wie ausgeprägt die Fähigkeit der Keime ist, eine Erkrankung hervorzurufen. Man nennt das Virulenz (Infektionskraft).
Es kann eine Immunität bestehen, weil wir die Krankheit bereits einmal hatten und sich das Immunsystem daran erinnert, wie dieser spezielle Erreger zu bekämpfen ist, sodass er erst gar nicht wirksam werden kann. Wenn unser Immunsystem gesund ist und die Menge an Erregern seine Kraft nicht übersteigt, bleiben wir ohnehin gesund, zum Beispiel bei einer Erkältung oder Grippe.
Manchmal gelingt es Erregern allerdings, das Immunsystem zu täuschen und zu verhindern, dass es reagiert. Auch manche Tumore entkommen dem Immunsystem – man nennt das »Immunescape«. Wenn zu viele Erkrankungen parallel auftreten und das Immunsystem einen Vielfrontenkrieg führen muss, kann das vor allem langfristig zu einer Erschöpfung der Schlagkraft führen. Es braucht ein sehr fittes Immunsystem, das durch geeignete Ernährung, Bewegung, Sonnenlicht, ausreichend Schlaf und eine positive Einstellung zum Leben gestärkt ist, um mit solchen Herausforderungen erfolgreich umzugehen. Meist werden Menschen jedoch auf mehreren Ebenen krank, weil ihre Immunabwehr bereits geschwächt ist. Daher konzentrieren sich heute viele Ärzte nicht nur darauf, die Krankheit selbst zu bekämpfen. Sie versuchen auch, das Immunsystem zu stärken.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus meinem Buch Pandemie – gefährdet eine Seuche die Welt?